Deutsche Muslime könnten den Neuankömmlingen, die als Flüchtlinge Zuflucht suchen, Deutschland erklären – meint unsere Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - „Gesellschaften, die von Angst geprägt sind, werden mit Sicherheit die Zukunft nicht meistern“, hat Angela Merkel neulich festgestellt. Die Kanzlerin antwortete so auf die Frage einer Bürgerin, die kurz gesagt zwei Dinge gleichsetzte: Die Flüchtlinge, die derzeit zu Hunderttausenden nach Europa kommen, sind für sie gleichbedeutend mit einer Gefahr. Die Frau nennt das „Islamisierung“. Aufgerufen wird die Befürchtung, es könnte durch Zuwanderung und Fortpflanzung eine Mehrheit in der Gesellschaft entstehen, die dieses freie, demokratisch verfasste Europa verändern will hin zu einem religiös begründeten Staatswesen, das die bisherige Mehrheitsgesellschaft als unrecht empfindet, weil es sich einem politischen Islam unterwirft und Werte unterpflügt, die sie als Grundwerte versteht.

 

Die Vorstellung ist unrealistisch. Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass eine solche Entwicklung zu erwarten wäre. In Deutschland leben derzeit etwa vier Millionen Muslime. Allenfalls ein Drittel davon bezeichnet sich als streng gläubig, was noch lange nicht bedeutet, dass sie gerne in einem islamischen Staat leben würden. Die große Mehrzahl der Muslime steht zu den Grundwerten der Demokratie. Der Begriff der Islamisierung eskaliert die Debatte in diesem Fall unredlich, er wird benutzt, damit man nicht über das reden muss, worum es geht – einen Vorbehalt, eine Unlust an dem, was zu erwarten ist: Wenn im Jahr 800 000 bis eine Million Menschen aus Krisengebieten Teil der Gesellschaft werden, dann ist es wahrscheinlich, dass das eigene Leben sich dadurch leicht ändert. Man muss sich auf etwas Neues einstellen, es wird vielleicht interessant werden und bisweilen auch unangenehm oder nervig – auf jeden Fall aber komplizierter.

Wir leben nicht in einer Wünsch-dir-was-Welt

Richtig, unter den Neuen werden viele Muslime sein. Na und? Wir haben Religionsfreiheit und können stolz darauf sein! Eigentlich ist das Stichwort „Stolz“ ein gutes für einen Gastgeber. Vielleicht gerade weil wir uns mit diesem Begriff so schwer tun: wie wäre es denn, wenn wir den Stolz auf dieses freiheitliche, pluralistische, demokratische Land erklären würden? Teddybären sind schöne Willkommensgrüße – aber wenn man länger bleibt, dann wird es komplizierter, dann braucht man Erklärbären. Der Altbundespräsident Christian Wulff hat am Wochenende dazu einen guten Vorschlag gemacht: er forderte in einem Interview die Muslime in der Bevölkerung auf, sich besonders zu engagieren – und für demokratische Werte einzutreten.

Die Adressierung an Muslime hat nichts mit einem Generalverdacht zu tun, über den sich manche Muslimvertreter so gern aufregen. Es geht um Pragmatismus. Denn in einer Wünsch-dir-was-Welt gäbe es jetzt Dolmetscher, Deutschkurse, Traumatherapie und Integrationslotsen. Aber die Wirklichkeit sieht gerade so aus, dass Menschen kurz vor Beginn der kalten Jahreszeit in Zelten schlafen, und dass der Staat schon mit der Grundversorgung völlig ausgelastet ist. Natürlich kann man nur darum bitten, aber es stimmt: Muslime haben derzeit eine besondere Vertrauensstellung und daher eine besondere staatsbürgerliche Verantwortung. Ihre Glaubensgeschwister docken bei ihnen an, weil sie ihnen vertrauen und weil sie arabisch sprechen. Viele Kommunen bitten deshalb aktiv um Hilfe.

Nicht nur den Bedarf an Koran-Ausgaben decken

Der Chef des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, verwies stolz darauf, dass man „den Bedarf an Koranen und Gebetsteppichen“ stille. Das ist sicher wichtig für die Seele. Aber für das Zusammenleben ist wichtig, dass – wie Christian Wulff sagte – die Flüchtlinge nicht nur in die Moschee eingeladen werden, sondern man ihnen erklärt, was dieses Land auszeichnet: Meinungs- und Religionsfreiheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, das staatliche Gewaltmonopol. Eigentlich liegt darin eine große Chance. Es wäre ein Moment um zu zeigen, dass das schon längst zusammengehört: deutsch und muslimisch.