Der zu geringe Frauenanteil in der Politik ist kein Problem für Feministinnen, sondern für die Demokratie, meint unsere Kolumnistin Katja Bauer.

Berlin - Am neuen Bundestag ist manches beklagenswert, zum Beispiel die Geschlechterverteilung. 30,7 Prozent Frauen, so wenige Frauen saßen zuletzt vor 19 Jahren im Parlament. Am Tag nach der Wahl stellten Politiker stirnrunzelnd fest: Wir haben da ein Problem. Wirklich? Wenn das Problem auf breiter Front als wichtig eingeschätzt würde, dann könnten gerade Abgeordnete schon lange etwas daran ändern. Andere Länder in Europa machen das vor, sie haben seit teilweise mehr als 20 Jahren Gesetze, deren Folge ein höherer Frauenanteil in den Parlamenten ist. Auf den ersten Blick scheint sich auch so im gegen solche Art Wahlrechtsreformen extrem skeptischen Deutschland einiges bewegt zu haben: Im Kanzleramt sitzt eine Frau, die Zahl der Ministerinnen im Bundeskabinett und in Landesregierungen ist gewachsen. Und jetzt, wo die SPD vermutlich den Beliebtheitsboden erreicht hat, darf sogar erstmals in der Geschichte der Partei eine Frau Fraktionschefin werden.

 

Keine Quote und kein Quorum

Der Anschein aber führt in die Irre. Der Frauenanteil im letzten Bundestag – ohne die FDP, die keine Quote und kein Quorum will – war ein Ausreißer nach oben. Die Entwicklung stagniert eigentlich seit Ende der 90er Jahre nahezu. Dabei ist der Bundestag noch ein eher positives Beispiel. Blickt man auf die Einstiegsebene der Politik, auf das demokratische Fundament der Kommunalpolitik, dann verdüstert sich das Bild weiter. In den Parlamenten liegt der Frauenanteil knapp bei einem Viertel, unter Bürgermeistern und Landräten sind weniger als zehn Prozent weiblich. Es gibt immer noch rein männliche Parlamente.

Frauen haben ja dieselben Rechte

Warum? Natürlich kann man die Ansicht vertreten, dass Frauen ja dieselben Rechte haben, sich zu engagieren, und achselzuckend bedauern, dass sich eben weniger Frauen interessieren, engagieren, durchsetzen, ins mitunter schmutzige Feld der Politik werfen. Es gibt eine Menge Erklärungsversuche: Starke männliche Netzwerke, so wie in der Arbeitswelt, wenn es um Posten geht, gehören dazu. Die Mehrfachbelastung von Frauen durch Kinder und Beruf genau in der Lebensphase, in der Weichen zum Beispiel für kommunalpolitische Karrieren gestellt werden. Die Tatsache, dass sich im Kampf um Direktmandate auch bei Parteien mit Quote oft Männer durchsetzen – dieses Problem hat besonders das baden-württembergische Wahlrecht. Im Landtag liegt die Frauenquote denn auch bei einem Viertel, der bundesweit zweitschlechteste Wert.

Wollen wir so etwas?

Statt das Klagelied des kulturellen Unterschieds zu singen, könnte man sich allerdings auch fragen: Wollen wir so etwas? Im Jahr 2017? Oder sollte das Ziel für eine repräsentative Demokratie in ihren politischen Organen ein weiter gehendes als nur das der gleichen Rechte sein – nämlich gleiche Beteiligung, Parität? Die Franzosen, elegant wie stets, nennen diesen für sie zentralen Gesichtspunkt Egalité. Ein Paritätsgesetz regelt in Frankreich zum Beispiel bei den Regionalwahlen, dass pro Wahlkreis Tandems nominiert werden, ein Mann, eine Frau. Man wählt also mit seiner Stimme immer beide. Automatisch sind die Sitze halbe-halbe verteilt. Gelingt einer Partei keine solche Aufstellung, wird ihre Liste zurückgewiesen. In Belgien gilt für Listen das Reißverschlussprinzip, Portugal und Irland sehen empfindliche Sanktionen bei Unterlaufen von Quoten vor. Die Zahl der weiblichen Abgeordneten steigt. In Deutschland bleibt man vorerst beim Stirnrunzeln.

Vorschau
In der kommenden Woche schreibt an dieser Stelle unsere K olumnistin Sibylle Krause-Burger.