Das Fußball-Wort des Jahres ist schon jetzt „Ausstiegsklausel“. Früher hieß es: Vertrag ist Vertrag, Heutzutage ist so ein Vertrag eher Satire – mit vielen Fußnoten im Kleingedruckten.

Stuttgart - Im Fußball steht das Wort des Jahres diesmal schon im Sommer fest, und viele würden jetzt blind ihr letztes Hemd darauf verwetten, dass es entweder „Pep“ oder „Guardiola“ heißt – aber die richtige Antwort ist: „Ausstiegsklausel“.

 

Kein Tag vergeht, an dem dieses Zauberwort nicht in aller Munde ist, selbst Analphabeten buchstabieren es längst fehlerlos vorwärts und rückwärts herunter, es ist mittlerweile ein so fester Bestandteil des modernen Fußballs wie der Ball, und der letzte Beweis dafür heißt Thiago: Zur Freude des FC Bayern hat auch der verheißungsvolle Spanier diese Ausstiegsklausel gezogen und seinen Vertrag zerrissen, von dem die Fans des FC Barcelona dachten, er gelte bis 2015.

Entweder sind sie dort unten noch von gestern oder sie leben hinter dem Mond.

Mario Gomez zeigte dem VfB einst die Rücklichter

Denn Verträge ohne Ausstiegsklausel gibt es schon lange nicht mehr. Das Thiago-Ausstiegsszenario kennt der aufgeklärte Fußballfan spätestens, seit Mario Gomez dem VfB auf der A 8 Richtung München die Rücklichter zeigte, Marco Reus letztes Jahr von Gladbach nach Dortmund weiterstürmte, Javi Martinez aus Bilbao zu den Bayern fand oder Mario Götze neulich vom BVB zur anderen Feldpostnummer überlief. Vergessen wir an der Stelle auch die Schalker nicht, die unlängst kleinlaut einräumen mussten, dass Julian Draxler zwar bis 2018 unterschrieben hat, aber nur dank einer Klausel, die ihm bei einem feindlichen Ablöseangebot in festgeschriebener Höhe den sofortigen Abgang erlaubt. Als Verfallsdatum des Vertrags hätten die Königsblauen statt 2018 genau so gut den 1. April 2022 hineinschreiben können oder den 27. Januar 2576 – und nach der WM nächstes Jahr sagt Draxler in Schalke vermutlich Servus.

So ein Vertrag ist keine Frage der Moral, sondern eine Frage der Ausstiegsklausel. Haben Sie auch eine, beispielsweise im Ehevertrag? Für jeden Fußballer wäre das selbstverständlich, nicht einmal vor den Altar würde er treten ohne eine solche. Jeder hat heutzutage eine, vom Stadiongärtner über den Zeugwart bis zum Balleinfetter – der einzige, der keine hat, ist Robert Lewandowski. Warum? Vermutlich hatten die Berater des Torjägers an dem Tag frei oder waren auf Betriebsausflug, jedenfalls muss der Pole zur Strafe jetzt in Dortmund bleiben.

Verträge werden zu wahren Kunstwerken

Gute Berater sind, wenn es um Vertragliches geht, pfiffige Tüftler. So eine Ausstiegsklausel ist ein wahres Kunstwerk. Es gibt sie nicht nur in der erwähnten Standardausführung, wo lediglich drinsteht, dass der Spieler bei der gebotenen Ablösesumme X sofort gehen darf – sondern auch noch in verfeinerter Form, in der das Geld gar keine Rolle mehr spielt, sondern die sofortige Freigabe zu erteilen ist, falls a) Bayern, b) Real, c) Barcelona, d) ManUnited, e) Roman Abramowitsch oder f) die Scheichs von Paris St. Germain und Manchester City anklopfen. Nur bei allen anderen Abwerbeangeboten, sagen wir mal vom VfB oder von Barfuß Bethlehem, darf der Club zu seinem Star knallhart sagen: Du bleibst, Vertrag ist Vertrag!

Und jetzt die schlechte Nachricht: diese Ausstiegsklausel, argwöhnen viele, ist nur die Spitze des verklausulierten Eisbergs – man möchte als letzter Romantiker gar nicht wissen, was sich in den Untiefen des Kleingedruckten sonst noch alles verbirgt und klammheimlich breit gemacht hat, seit sich Jürgen Klinsmann einst als Bayern-Torjäger und Wegbereiter der vertraglichen Fußnote sogar die Stammplatzgarantie hat hineinschreiben lassen, wie in München böse Zungen behaupten.

Wer zahlt die Maniküre und die Pediküre?

Zu der Zeit sind alle Dämme gebrochen. David Beckham hat, als er bei Real war, angeblich sogar seinen Londoner Friseur mitunter nach Madrid einfliegen lassen, der ihm dort geschwind die linke Augenbraue modisch zur Hälfte abrasierte und dann wieder nach Hause flog. Hat Real auch die Maniküre und Pediküre bezahlt? Wir wissen es nicht, sollten aber der Einfachheit halber auf jeden Fall getrost davon ausgehen, dass sich der moderne Profi verwöhnen lässt mit vergoldeten Klauseln aller Art.

Fallen Sie beispielsweise nicht staunend aus allen Wolken, falls Sie demnächst hören sollten, dass sich Thiago Alcantara einen Lamborghini mit Propeller in seinem Bayern-Vertrag hat verankern lassen oder Dortmunds neue Stürmerperle Pierre-Emerick Aubameyang für die Gattin eine Zehnerkarte in der Schönheitsfarm, ergänzt durch eine Villa mit beheizbaren Klobrillen, Dachplatten aus Marmor und einem livrierten Diener aus Uganda. Alles Menschenmögliche wird in diesen zeitgemäßen Verträgen berücksichtigt, sämtliche Mittel der motivierenden Menschenführung werden ausgeschöpft. So ist etwa das Trikot mit der 10 als Grundbedingung längst selbstverständlich, für jeden Brasilianer nach der Winterpause das mehrtägige Überziehen des Heimaturlaubs so gut wie Vertragspflicht – und falls er erklärt, dass er seine Leistung nur auf Gras voll entfalten kann, das exakt auf 18 Millimeter Höhe geschnitten ist, und darüber hinaus die Mannschaftsbesprechung am liebsten bei 23 Grad Zimmertemperatur absolviert, kriegt er notfalls auch das noch schriftlich.

Wunschtemperatur im Entmüdungsbecken

Jürgen Sundermann fällt uns an der Stelle ein. Der ist den Überlebenden unter uns noch bekannt als VfB-Wundermann, aber am Ende seiner Trainerkarriere flüchtete er mit dem zündenden Satz in den Ruhestand: „Fehlt nur noch ein Förderband, das die Herren vom Auto in die Kabine bringt. Millionenverdiener fordern noch Telefonzuschuss, und einer wollte sogar, dass der Verein die Leihgebühr für seine Videos übernimmt.“ Vergessen wir auch nicht die beheizbaren Trikots – oder die Wasserwunschtemperatur im Entmüdungsbecken von 21,3 Grad.

Sie lachen? Dann unterschätzen Sie gewaltig den Ideenreichtum der modernen Vertragsexperten. Viele nehmen ihren Job derart ernst, dass schlimmstenfalls sogar gelegentlich ein Interview platzt wie mit Michael Ballack. Die Agentur, die der Altinternationale unlängst für sein Abschiedsspiel beauftragt hatte, wollte per Vertrag einen Reporter der „Welt am Sonntag“ verpflichten, Ballack das Gestalten von Überschrift, Vor- und Abspann, Zwischenzeilen, Bildunterschriften und sogar die Ankündigung im Inhaltsverzeichnis persönlich zu überlassen – jede Abweichung, las man da, würde eine Vertragsstrafe von je 25 000 Euro nach sich ziehen. Das ist die brutale Realität. Sie übertrifft die blühendste Fantasie, jede vertragliche Extravaganz und Extrawurst ist im Fußball mittlerweile vorstellbar – und ein Ende des Trends zum Kleingedruckten nicht absehbar.

Oder doch? Ganz vage dürfen wir pingeligen Puristen und Verfechter der reinen Vertragslehre neuerdings wieder hoffen, denn der FC Bayern hat Götze eine Ausstiegsklausel zuletzt bravourös verweigert, und die Dortmunder haben sie Jakub Blaszczykowski nachträglich abgekauft. Inzwischen ist wirklich alles möglich – sogar aus der Ausstiegsklausel kann man aussteigen.