Gestern hui, heute pfui. Die allgemeine Fußballeuphorie kippt. Nach den jüngsten Dämpfern der Junioren-Nationalmannschaften heißt es: Quo vadis, Deutschland?

Stuttgart - Was wir momentan unter der Gürtellinie einstecken müssen, ist mit Worten kaum noch zu beschreiben – mit gestrecktem Bein werden wir erwischt, und zwar dort, wo es uns Männern wehtut.

 

Beim Fußball.

Es geht Schlag auf Schlag, Tag für Tag: Am Sonntag der kalte K. o. der U  21 bei der EM in Israel, am Montag das jähe Aus der U 19 in der EM-Qualifikation, zuvor bereits das Scheitern der U 17 – das Entsetzen nähert sich der Panik.

Die Sterndeuter haben uns den Himmel auf Erden versprochen

Hatten wir nicht schon gedacht, dass uns dank unserer Talente, die aus dem Rasen schießen wie Unkraut, die Zukunft gehört, wenn nicht sogar schon die Gegenwart? Haben wir uns nicht spätestens für den Nabel der Welt und das Gelbe vom Ei gehalten, nachdem wir neulich London besetzt, Europa erobert und die Königsklasse praktisch doppelt gewonnen haben? Mittels tollster Vorhersagen haben uns Wahrsager und Hellseher, Kartenleger und Sterndeuter, Propheten und Glaskugelgucker den Himmel auf Erden versprochen und selbst den kaiserlichen Schwur des Teamchefs Beckenbauer nach dem WM-Sieg 90 („Wir sind auf Jahre hinaus nicht zu schlagen“) verblassen lassen.

Und nun das. Und dann auch noch so. Die U 19 kapituliert gegen Norwegen, das im Fußball ungefähr der Äußeren Mandschurei entspricht, oder Haiti (worauf wir noch kommen werden). Und über die U 21 stöhnt der als Augenzeuge nach Tel Aviv entsandte Bundescotrainer Hansi Flick: „Das war phasenweise fast ein Klassenunterschied“ – so überlegen waren die Spanier.

Eine dicke Brille sorgt für den Durchblick

Was ist da los? Was läuft plötzlich schief? Flick hat es, ohne Flickschusterei oder hübsche Worthülsen, kurz und humorlos auf den Punkt gebracht: „Der Siegeszug von Bayern München und Borussia Dortmund in der Champions League hat den Blick getrübt.“ Sofort nehmen wir an der Stelle die Tomaten von den Augen, reiben uns den Sand raus, setzen eine dicke Brille für den Durchblick auf – und wie Schuppen fällt uns von den Augen, was er meint. Wir haben vor lauter Stolz völlig vergessen, wer an unserem größten deutsch-deutschen Fußballerfolg zuletzt maßgeblich mitgeschraubt hat: Der Holländer Robben, der Franzose Ribéry, der Kroate Mandzukic, der Brasilianer Dante, der Pole Lewandowski – und Martínez, der Spanier.

Immer diese Spanier. Im Albtraum verfolgen sie uns, und nach Wien (EM-Finale 2008) und Südafrika (WM-Halbfinale 2010) nun schon bis Tel Aviv. Ach was: bis Miami. Sogar dort haben sie uns vorgeführt, wo wir stehen, diesmal in puncto Wertschätzung. Die Welt- und Europameister wurden angehimmelt – während Jogis Jungs zwar auch dort waren, nur hat das kein Mensch gemerkt.

Die großen Stars kommen immer noch aus Spanien

Dabei waren sie sogar beim Basketball und haben („Let’s go Heat!“) Miamis Sonnenkönige LeBron James und Dwyane Wade angefeuert. Tags darauf meldete der örtliche „Herald“: „James und Wade waren nicht die berühmtesten Sportler in der Halle.“ Aber bevor Sie jetzt tippen, dass Per Mertesacker oder Lukas Podolski auf der Videotafel eingeblendet wurden – es war David Beckham. Als die Zeitung ein paar Tage später nachlegte („Beckham war in der Stadt, und jetzt sind weitere Weltstars da“) dachten wir: na endlich. Doch diesmal waren die Spanier gemeint.

5000 Freikarten vor dem deutschen Spiel

Auf den Confederations-Cup haben die sich in Florida vorbereitet, und der Wirbel war wild, am Flughafen und im Hotel. Die Autogrammjäger wuselten, der Bayern-Star Martínez gab Interviews, der „Herald“ brachte einen Fünfspalter, beim ersten NBA-Finalspiel der Heat gegen San Antonio saßen die Spanier als umschwärmte Superstars in einer Luxusloge, und letzten Samstag strömten zu ihrem 2:1-Testsieg gegen Haiti ins große Sun Life Stadion fast 40 000 Fans, darunter Dwyane Wade und weitere Promis. Zur Erinnerung: vor dem deutschen Spiel gegen Ecuador mussten angeblich aus einem Hubschrauber 5000 Freikarten abgeworfen werden, damit überhaupt jemand kam. In weiser Voraussicht wurde im kleinen Provinzstadion in Boca Raton gekickt, und auf der Busfahrt dorthin sind Jogis Jungs auf dem Highway 95 vorbeigefahren an riesigen Reklameschildern, auf denen dick stand: „Spain vs. Haiti“. Und darunter: „Mit Iniesta, Xaxi und Piqué“.

Kusshändchen von Shakira

Piqué – die Fans haben den Spanier gefeiert, als sei seine Freundin Shakira („Waka, Waka“) neulich von dreieiigen und vierköpfigen Zwillingen entbunden worden, dabei war es nur ein ganz normales, kleines Söhnchen. Kusshände hat die Mama dem Papa von der Tribüne aus zugeworfen, und Vicente del Bosque, der Trainer der Furia Roja, bedankte sich im Namen seiner Spanier überwältigt: „Was für eine Gastfreundschaft.“

Unsere Deutschen dagegen kamen und gingen, ungestreift, und anschließend musste Jogi Löw seine alte Erfahrung, dass wir selbst in Bestbesetzung gegen die Spanier verlieren, beim 3:4 gegen die USA auch noch durch die bittere Erkenntnis anreichern, dass er seinen zweiten Anzug sogar getrost bei einer Kleidersammlung für die Dritte Welt spenden kann. Dazu passt, dass der Trainingsplatz in der Barry-Universität nach der Abreise der deutschen Delegation – nein, nicht von den Spaniern, sondern von den Haitianern übernommen wurde.

Von einem Extrem ins andere

Und nun auch noch diese Erniedrigungen für unsere U-Talente. Als Deutsche können wir da nur noch tun, was wir immer tun: Wir fallen von einem Extrem ins andere und schütten das Kind mit dem Bad aus – gestern sollte an unserem Fußballwesen noch die Welt genesen, und heute geht sie unter. „Quo vadis, Deutschland?“, hat das Internetportal Sport 1 schon getitelt, und auch andere Besorgte belästigen bereits wieder hektisch die Astrologen, anstatt es einfach mit Albert Einstein zu halten: Ich denke niemals an die Zukunft – sie kommt früh genug. Und was die Gegenwart betrifft: Da können wir uns doch locker trösten mit Vettel – der überholt Alonso vorwärts und rückwärts und pfeift im Vorbeifliegen noch ein „Buenos Dias“.