Mit Smartphones wird kaum telefoniert. Und bei der neuen Apple Watch geht es auch nicht um die Uhrzeit – zumindest nicht in erster Linie. Mit ihr Geld auszugeben, immer und überall, das wird nach Ansicht unseres Kolumnisten eine ihrer Hauptfunktionen werden.

Stuttgart - Zeit war bisher das zentrale Produkt einer Uhr. Die Firma Apple will uns nun die moderne Zeit verkaufen. Eine Uhr, die nicht nur die Uhrzeit anzeigen kann, sondern von einem Software-Gärtchen aus Apps umrankt wird, mit dessen Hilfe sich heute noch unvorstellbare kleine Bequemlichkeiten genießen lassen werden. Dabei wundert man sich: Vor allem von den Jüngeren trägt heute niemand mehr eine Uhr. Wer wissen will, wie spät es ist, schaut auf sein Smartphone.

 

Diese Uhrlosigkeit hatte etwas Befreiendes. Schließlich hat das Industriezeitalter damit begonnen, dass die Menschen mit Hilfe von Uhren in der Zeit gefangen genommen wurden – in einem strikten Ablauf, dem niemand sich mehr entziehen durfte. „Eine Medienmaschine, die jeder mit sich herumträgt“, sagt der Medienwissenschaftler Hartmut Winkler, „und die in Zahlen oder Zeichen anzeigt, an welcher Zeitstelle des Tages man sich befindet. Wie der Kalender ist die Uhr kein Messgerät; gesellschaftliche Vorgänge werden über das Medium der Uhr synchronisiert.“

Wer nun glaubt, dass Apple das Chronometer neu erfinden will, der irrt. Apple will nicht die Zeit neu erfinden, sondern das Geld. NFC heißt das Zauberwort – Near Field Communication. Und wer da im Nahfeld kommuniziert, das sind die Apple Watch und die Registrierkassen dieser Welt. Sie tauschen Bezahldaten aus. Früher nannte man diesen Vorgang profan „Geld ausgeben“. Man geht an der Kasse vorbei und ist sein Geld los. Kein Graben nach der Brieftasche mehr, kein „Hätten Sie’s vielleicht klein?“.

Neu sind solche Verfahren nicht. Die Firma Applied Digital Solutions hat es schon vor Jahren mit einem reiskornkleinen Chip in die Schlagzeilen geschafft, den man sich unter die Haut injizieren lassen konnte. So erhielten Gäste in einem Beach Club in Barcelona und in einer Bar in Glasgow VIP-Zugang, wenn sie sich den Chip von einem Disco-Arzt verpassen ließen. Sobald der Gechipte an einem Lesegerät vorbeiging, wusste die Lokalität, wen sie vor sich hatte und wie es auf dessen Konto aussah.

Diese Art von Zahlungsmittel, das nun mit der Apple Watch Furore machen soll, gehört zu einer neuen Sorte Geld, das nicht mehr nur einfach Geld ist, sondern Geld, das Geld kostet. Den Firmen, denen der Aufbau der teuren Infrastruktur aufgehalst wird, die uns zu der berührungslosen Bequemlichkeit verhelfen soll, müssen wir dann jedes Mal, wenn wir Geld ausgeben wollen, Geld dafür geben.

Das berührungslose Bezahlen ist ein wichtiger Schritt, um störenden Widerstand beim Warenerwerb zu beseitigen. Richtig prosperieren kann die Wirtschaft ja erst, wenn der Abfluss von Barmitteln aus punktuellen Vorgängen überführt wird in ein permanentes Geschehen. In einen Stream des Geldausgebens. Die Apple Watch soll uns dabei helfen, finanzielle Transaktionen radikal zu vereinfachen, indem sie sich in ein Einknopf-Gerät in der Art eines sogenannten Totmannschalters verwandelt. Den muss der Fahrzeugführer im Führerstand einer Lok in Abständen drücken, um anzuzeigen, dass er noch lebt.

Ein solcher wirtschaftlich wirksame sozusagen „Totkundenknopf“ würde bedeuten: Wenn man nicht alle zehn Minuten drückt, wird geliefert – entweder nach einem Roulettesystem zugeloste Ware oder in Fortführung der alten Buchclubidee des „Hauptvorschlagsbands“ nach Empfehlungen der Konsumgüterindustrie. Folge: das Netz brummt, die Wirtschaft prosperiert. Und die Raten verlassen das sinkende Konto. Unmerklich, dank der klugen Uhr.