Ein neues iPhone? In Farbe? Und man aktiviert es mit seinem Fingerabdruck? Eins steht schon vor der offiziellen Präsentation fest: die Firma Apple ist gewissermaßen Träger des Schwarzen Gürtels im Forcieren von Gerüchten.

Stuttgart - Das waren mal wieder Gerüchte: Das nächste iPhone ist unterwegs („Viel erkennen kann man zwar nicht, aber aus den Details lassen sich doch einige Rückschlüsse ziehen“). Es summt und brummt vor Mutmaßungen.

 

Gerüchte können eine bemerkenswerte Macht entfalten. In den Neunzigerjahren verbreitete sich in Nigeria das Gerücht, Körperkontakt mit einem Fremden genüge, um männliche Geschlechtsteile verschwinden zu lassen. Eine Massenhysterie brach aus, ein Dutzend vermeintlicher Genitaliendiebe wurde gelyncht. Ein Polizeisprecher betonte, dass bei den vorgeblich bestohlenen Männern medizinisch nachgewiesen worden sei, dass sich alle Organe am vorgesehenen Ort befunden hätten.

Die Firma Apple ist notorisch darin, das eigentlich Ungreifbare, nämlich Gerüchte, in kontrollierte Bahnen gelenkt und zu einem Marketinginstrument von weltweiter Wucht geformt zu haben. Wie kann ein Unternehmen, das so viel Wert auf Klarheit legt (zumindest, was die Gestaltung betrifft), etwas so Ungefähres wie Gerüchte zum tragenden Teil seiner Öffentlichkeitsarbeit machen? Apple ist inzwischen so etwas wie ein Träger des Schwarzen Gürtels im Forcieren von Gerüchten. Gerüchte und Anekdoten geistern kostenlos durch die Werbewelt, weshalb Firmen, die teures Marketing betreiben müssen, das Unternehmen mit dem Apfel beneiden.

Jetzt darf jeder mal Experte sein

Der kanadische Management-Forscher Henry Mintzberg hat in einer Studie festgestellt, dass sich erfolgreiche Manager auch darin von weniger erfolgreichen unterscheiden, dass sie peripheren Informationen wie Körpersprache, Stimmungen und eben Gerüchten ebenso viel Beachtung schenken wie den harten Fakten. Apple-Fans sind da schon lange sensibilisiert. Der Blick wird auf kleinste Details gelenkt, die zu Vermutungen Anlass geben können. Das Ganze hat einen ähnlichen Unterhaltungswert wie Verschwörungstheorien.

Gerüchte können ziemlich wilde Tiere sein, hohe Schadenersatzforderungen nach sich ziehen oder Marken beschädigen. Und: „Fama crescit eundo“, wie schon der römische Dichter Vergil wusste – das Gerücht wächst, während es wandert. Gerüchte sind vorauseilende Neugierde. Sie füllen vorhandene Informationslücken mit der eigenen Vorstellung aus. Und sie sind keinesfalls, wie manche meinen, Zeichen eines Mangels an lohnenden Themen. Es handelt sich um einen egalitären, sozusagen urdemokratischen Vorgang. Die rund um die Uhr geöffnete Gerüchteküche ist die Demokratisierung des obskuren Analystentums. Jeder darf nun ein Experte sein und Prognosen wagen.

Rauchzart ist das, was man den Ruf nennt, filigran, ein Haus aus Ascheflocken, und, sucht man ihn zu fassen: schon verweht. Interessante Indiskretionen schimmern wie kosmische Staubnebel in unser kleines Alltagsgrau. Aber was sind schon öde Tatsachen gegen die tief in die Hosentaschen der Fantasie wühlenden Tentakel des Gerüchts?