Der Präsident des Bundestags brüskiert nicht nur den ägyptischen Staatspräsidenten al-Sisi, er setzt auch Gauck und Merkel herab, kritisiert unsere Kolumnistin.

Stuttgart - Norbert Lammert, der Spitzenmann des deutschen Parlaments, ist auch ein Spitzenredner, Spitzenformulierer und Spitzenprovokateur – ganz wie es das Amt eines Oberhaupts der Volksvertreter gebietet. Selbstverständlich geht er auch vor der Alphafrau des Landes nicht in die Knie. Und wenn die Dame, wie in dieser Woche, den amtierenden Pharao al-Sisi in Berlin zu einem Besuch empfängt, dann kann sich der hochedle Herr Lammert durchaus weigern, den Herrn vom Nil zu empfangen und ihm die Hand zu reichen. Oder?

 

Na klar, da freut sich doch jedes Gutmenschenherz. Denn schändlich und kein bisschen demokratisch-lupenrein ist ohne Frage, was die ägyptischen Militärs daheim so treiben. Und weil unser Bundestagspräsident bei ihnen kein „eindeutiges Signal der Bereitschaft und Entschlossenheit zu demokratischen Weiterentwicklungen“ entdeckt, dafür aber über Todesurteile en masse erschrickt, hält er sich vornehm heraus, während Joachim Gauck und Angela Merkel das übliche Programm und die Parade auf dem roten Teppich abspulen. Lammert will den Besucher nicht empfangen. Doch ist, was gerechtfertigt zu sein scheint, auch klug?

Ein eitles, selbstverliebtes Unterfangen

Zunächst einmal ist es ein Affront. Ein Affront gegenüber dem Bundespräsidenten, protokollarisch dem ersten Mann im Staat, und gegenüber der Kanzlerin, die den dritten Platz in der offiziellen Rangfolge einnimmt, obwohl sie die Mächtigste ist. Sie halten an der Einladung fest. Zwischen ihnen nun also Norbert, der sich demokratisch strenggläubig aufplustert, auf dass man ihn als den Ehrenwerteren, Besseren, Moralischeren wahrnimmt. So setzt er die beiden anderen herab, nicht nur Politiker in den allerhöchsten Ämtern, sondern Staatsorgane. Das ist kein moralischer Akt, es ist ein eitles, selbstverliebtes Unterfangen, unwürdig eines so intelligenten Mannes in verantwortlicher Position.

Der Herr Lammert hat seine Auftrumpferei eben nicht zu Ende gedacht. Nicht nur, dass er die höchsten Würdenträger der Republik moralisch in die zweite Liga absteigen lässt. Offenbar hat er auch nicht bedacht, wie viele andere regierende und repräsentierende Nichtdemokraten und Menschenrechtsverächter bei uns von Staats wegen freundlich empfangen werden, obschon wir deren innere Verhältnisse nicht schätzen. Es gibt nun mal nicht nur die gute schöne Bundesrepublik auf dieser Welt. In fast der Hälfte aller Staaten auf dem Globus leben die Bürger nicht annähernd so frei und rechtlich gesichert wie hierzulande. Will er deren Amtsträgern auch keine Gastfreundlichkeit zukommen lassen? Und trägt es nicht eher Früchte, mit ihnen zu reden, als ihnen die kalte Schulter zu zeigen?

Viel gastfreundlicher gegenüber den Chinesen

Wie hält er es denn mit den Chinesen, die bekanntlich ebenfalls Todesurteile en masse nicht nur verhängen, sondern tagtäglich vollstrecken? Was macht er, wenn wieder einmal eine saudische Delegation der „Beratenden Versammlung“ – eingeladen vom Deutschen Bundestag, wie anno 2011 – nach Berlin kommt, deren Mitglieder ja nicht frei gewählt, sondern von den Prinzen auserwählt worden sind? Weigert er sich da auch, denen die Hand zu geben? Wie man weiß, werden in Saudi-Arabien Menschen öffentlich ausgepeitscht und geköpft. Und was will Präsident Lammert tun, wenn die Atomverhandlungen mit Iran positiv verlaufen, die Sanktionen gelockert werden und Leute hier aus und eingehen, die einen Staat unterstützen, der eine junge Frau aufhängen lässt, weil sie sich gegen einen Vergewaltiger gewehrt hat?

Natürlich machen wir mit China und Saudi-Arabien mehr Geschäfte als mit Ägypten, und den Herrn Xi Jinping traute sich Norbert Lammert wohl nicht in ähnlicher Weise zu brüskieren wie den regierenden Militär vom Nil. Es ist also eine hohle Geste, die der zweite Mann in unserem Staat in dieser Woche zelebriert, eine Geste der Selbstüberschätzung. Schon wieder soll am deutschen Wesen die Welt genesen – zumindest am Wesen von Bundestagspräsident Lammert, der hier für eine Republik stehen will, die sich vor lauter selbstgenügsamer Gutmenschenhaftigkeit nachgerade überschlägt.

Doch so schön es wäre, hätten alle Staaten der Welt eine Verfassung wie das Grundgesetz und befolgte man all überall auch seine Regeln: es ist noch nicht so weit. Und wahrscheinlich wird es auch niemals so weit sein. Die Illusion, die westliche Demokratie nach Arabien exportieren zu können – so wie die Amerikaner den Deutschen nach 1945 demokratisch auf die Beine halfen – ist längst zerstoben. Bei uns konnte man nach Hitler an Weimar und an die Gedanken der Aufklärung anknüpfen. Im Irak produzierte der Eingriff der Bush-Kämpfer nur Chaos, Gewalt und Vertreibung. In Libyen bombte man den schrecklichen Gaddafi in die ewigen Jagdgründe und schuf noch schrecklichere Verhältnisse. In Ägypten brachte ein demokratischer Versuch den völlig undemokratischen, islamistischen Mursi an die Macht – eine Gefahr für die ganze Region und für Israel, dessen Sicherheit, laut Merkel, zur deutschen Staatsräson gehört. Ja, um Gottes, Jahwes und Allahs willen: was erhofft sich Norbert Lammert dort von „demokratischen Weiterentwicklungen“? In welcher Welt lebt dieser Mann?