Volker Beck und andere zeigen sich in er Öffentlichkeit als Lichtgestalten und sündigen im Dunkeln. Das ist abgründig, meint unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger.

Stuttgart - Ihr Leser, Hörer, Fernsehgewohnte, ihr Nachrichtenkonsumenten und Sensationsgierige, wo auch immer ihr euch aufhaltet, was auch immer ihr euch gerade reinzieht: seid auf der Hut. Misstraut den Moralisten. Fürchtet die Selbstgerechten. Geht denen aus dem Weg, die ihre Gott- oder Menschengefälligkeit wie eine Monstranz vor sich hertragen. Ihnen ist nicht zu trauen.

 

Schon in der Bibel steht zu lesen, dass im Himmel mehr Freude sei über einen reuigen Sünder als über neunundneunzig Gerechte. Der Evangelist Lukas, dem diese Überlieferung eines Jesus-Wortes zu danken ist, wusste, wovon er schrieb. Was hätte er aber erst festgehalten, wenn er die millionenfachen Vervielfältigungsmöglichkeiten des Medienlebens im 21. Jahrhundert vorausgesehen hätte, diese ständige optisch-akustische Anwesenheit der Supergerechten? In jeder Nachrichtensendung, in jeder Talkshow mindestens einer dieser Pharisäer? Wahrscheinlich hätte er das Schreiben seines Evangeliums resignierend für immer aufgegeben.

Ein politischer Honoratior in der Dealer-Wohnung

Nun also ist es Volker Beck, bisher innen- und religionspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag, der dem Publikum seine Schattenseite offenbaren musste. Als passionierter Kämpfer gegen Diskriminierung, vor allem der Homosexuellen, hatte die Nation ihn ständig auf dem Schirm. Der Gerechteste unter den Gerechten aller Zeiten, so durfte er fast wöchentlich auftreten, nachdem in unserer schnelllebigen Mediengesellschaft ein früheres Plädoyer aus seiner Feder für Sex mit Kindern vergessen worden war. Verrauscht. Vergeben.

Sein Heiligenschein erstrahlte aufs Neue. Und ausgerechnet dieser exemplarische Edelmensch, so bedeutsam in seiner Fraktion, so intelligent, ein Honoratior unter den Politikern, dazu bedauernswerter Witwer aus einer Homo-Ehe, verlässt nachts am Nollendorfplatz die Wohnung eines Dealers, wenig Stoff, aber doch genug für etliche Trips in der Tasche. Den lässt er flugs fallen. Zu spät. Die Fahnder sind schneller.

Oder Sebastian Edathy, Mitglied des Rechtsausschusses und Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages. Während der Sitzungszeiten eine Pressekonferenz nach der anderen mit ihm im Mittelpunkt. Ein Staatsanwalt, knallhart, gerecht scharfzüngig, aggressiv. Die ganze Person nichts als ein erhobener Zeigefinger. Und dann dies: Fotos von nackten Kindern, die er hier und da bestellt hat. Edathy, ein vorbildlicher politischer Reinemacher, aber ebenso ein Mann mit unsauberen pädophilen Neigungen, die er sogar seinem Bundestagscomputer anvertraut hat.

Günter Grass, Supermoralist und SS-Mitglied

Auch an Margot Käßmann kann man denken, die viel geliebte Bischöfin voll frommer Weisheiten, ihrem Volk unablässig glaubensbeglückende Bestseller spendend. Aber als es dunkel wird ist sie mit 1,54 Promille am Steuer durch Hannover unterwegs, was doch bedeutet, nicht nur das eigene Leben, auch das ihres nach wie vor unbekannten Mitfahrers und anderer Verkehrsteilnehmer gefährdend. Den Ausflug bezahlt sie teuer mit dem Verlust ihres wunderbaren Amtes. Aber wir bekommen sie zurück, halleluja, anno 2017, als Botschafterin der EKD für das Reformationsjubiläum. Des dürfen ihre Anhänger und Anhängerinnen froh und munter sein. Martin Luther freilich hätte sich vielleicht doch jemand anderes als Propagandist gewünscht.

Soll man an Günter Grass erinnern, der jahrzehntelang den nazibewältigenden Supermoralisten gab und eine frühe SS-Mitgliedschaft verschwieg? Oder Uli Hoeneß, der in Talkshows das Steuerhinterziehen geißelte und dann selbst für dieses Delikt ins Gefängnis musste? Ein Wohltäter der Menschheit, ein Kümmerer für den Sport, ein Schädiger des Staates von Graden. Alles in einem. Sehr wahrscheinlich auch er ein Wiederkehrer. Denn sieh, das Gute liegt so nah. Und das Böse gleich dahinter. Die Frage ist nur, ob in allen diesen Fällen ganz simpel nur das Menschlich-Allzumenschliche zu Tage tritt. Zumal wir ja schon von Goethen wissen, dass sogar ihm nichts davon fremd war.

Merkwürdig nur, dass unsere modernen Kandidaten zwar im Geheimen sündigen, sich aber gleichzeitig auf penetrante Art und Weise in der Öffentlichkeit als Lichtgestalten präsentieren. Sie könnten ja im Hintergrund bleiben, und wenn sie dort aufflögen, wäre der Schaden, der private wie der öffentliche, weniger groß. Aber nein, es muss beides sein. Und wir dürfen raten, ob aus Schwäche, ob auf Grund einer Neigung zur Schizophrenie oder um des inneren Gleichgewichts willen, nach dem Motto: seht her, meine guten Taten machen das bisschen Untat wett.

Möglicherweise gibt es jedoch gar keinen Widerspruch, und das eine ist so maßlos, abgründig und krank wie das andere. Doch das sind Einzelfälle. Sie beschädigen die betroffene Person, eine Partei, den Ruf der Politik oder eines Amtes. Unendlich schädlicher ist es jedoch, wenn eine Riesenorganisation, die Katholische Kirche gar, das Gute, das göttliche Verbrämte in der ganzen Welt zum Markenzeichen erhebt, Tausende ihrer Priester es jedoch missbrauchen dürfen, um sich an Kindern zu vergehen. Aber das ist eine andere Geschichte.