In Ägypten prallen Muslimbrüder und das Militär hart aufeinander. Unsere Kolumnistin Sibylle Krause-Burger meint: Mit Salafisten und Muslimbrüdern an der Macht kann man keine Demokratie, sondern nur einen Gottesstaat machen.

Vom Sturm auf die Bastille, im Jahr 1789, erfuhr der Geheime Rat Goethe erst durch schriftliche Überlieferung. Aber die Kanonade von Valmy, in der die napoleonischen Truppen über die preußisch-österreichische Allianz siegten, erlebte er an der Seite seines Weimarer Herzogs höchst persönlich. Und als man am Abend dieses 20. September des Jahres 1793 im Kreis von Offizieren zusammen saß, sprach er den seither viel zitierten Satz: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“

 

Was in unseren Tagen von den dramatischen Ereignissen in Ägypten ausgeht, wissen wir noch nicht. Aber dass wir, obwohl weit entfernt, dennoch dabei sein können, das dürfen wir ohne weiteres behaupten. Die moderne Fernsehtechnik mit der Möglichkeit, live in unsere Wohnzimmer zu übertragen, was irgendwo auf der Welt geschieht, macht es möglich und zieht uns ohne Zeitverzögerung mitten hinein in politische Eruptionen fern von unseren gerade ruhigen Gefilden. Wir stehen also Abend für Abend mit den Ägyptern auf dem Tahrir-Platz und bekommen höchst anschaulich vorgeführt, was eine Revolution ist.

Auch im 21. Jahrhundert muss der Revolutionär vors Haus

Mehr als eine Ahnung davon bekamen wir schon im deutschen Schicksalsjahr 1989, als wir ebenfalls live zusehen durften, wie die DDR in den massenhaften Demonstrationen von Leipzig und Berlin versank. Doch da brach etwas zusammen, was längst morsch war. Ägypten ist anders, weil so viele Kräfte virulent sind. Auch hängt unsere Freiheit nicht davon ab, welche Gruppen dort regieren. Und doch erregt uns der Blick auf diesen gewaltigen Ausbruch: so also geht es zu, wenn der Kessel überkocht, so viel Kraft haben die Menschen, so viel Leidenschaft, und so viele Nächte können sie ausharren, um eine finstere Herrschaft abzustreifen. So wild schäumt ihre Wut. Über den Bildschirm schauen wir ins Labor der Geschichte, staunen über die brodelnde Ursuppe der Demokratie. Dabei fällt als erstes auf, dass sich seit dem Sturm auf die Bastille an den Erscheinungsformen einer Revolution wenig geändert hat. Wie auch immer die Menschen sich verabreden – sei es durch Mund-zu-Mund-Propaganda, mit Handzetteln oder heutzutage über das Internet und Handy-Telefone: am Ende sind sie auf der Straße, bauen Barrikaden und stürmen die Zentren der gehassten Macht. Auch im 21. Jahrhundert muss der Revolutionär vors Haus. Anders ist der massenhafte Protest, die massenhafte Wut, der massenhafte Wille zum Machtwechsel nicht darzustellen und folglich auch nicht durchzusetzen.