In der Demokratie muss man auch unliebsame Meinungen aushalten können. Die modische Ausschließeritis greift um sich – und sie trifft nicht nur Rechtsradikale, sondern greift über auf viele andere. Das ist gefährlich, meint unsere Kolumnistin.

Berlin - Dieser Tage in der Paulskirche zu Frankfurt am Main, bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, geschah Merkwürdiges. Während der Eröffnungsrede des Oberbürgermeisters der Goethe-Stadt wagte sich die Stadtverordnete Mirrianne Mahn auf die Bühne, unterbrach den Politiker und gab ein Bekenntnis ab. Sie, als schwarze Frau, sähe die Meinungsfreiheit in Gefahr. Auf der Buchmesse seien schwarze Autorinnen ausgeschlossen gewesen, so der Tenor, weil sie um ihre Sicherheit fürchten mussten. Es seien schließlich rechte Verlage auf der Ausstellung zugelassen gewesen. Die Anwesenheit von Leuten mit faschistischen Ansichten sei intolerabel und habe nichts mit Meinungsfreiheit zu tun.

 

Mit diesen Argumenten hatte schon die ebenfalls schwarze Autorin Jasmina Kuhnke ihre Abwesenheit von der Messe verkündet. Nun also der Auftritt von Mirrianne Mahn in der Nachfolge mit dem Versprechen, sie wolle in ihrer Stadt alles dafür tun, dass es kein Podium für diese Menschen mehr gebe. Beifall aus dem hochmögenden Publikum. Vertrauliches Küsschen und etwas Geflüstertes aufs Ohr der Dame von Oberbürgermeister Feldmann, der es offensichtlich großartig fand, in so einer renommierten Veranstaltung ungefragt unterbrochen und auf die Seite geschoben zu werden.

Es gibt Grenzen für die Meinungsfreiheit

Nun bin ich wahrlich keine Anhängerin rechter Gesinnungen. Ich bin, und habe das schon öfters an dieser Stelle kundgetan, im weitesten Sinn des Wortes eine Liberale. Meine Bücher – gut ein Dutzend – sind nicht in rechtslastigen Verlagen erschienen, sondern bei Econ, der Deutschen-Verlagsanstalt, Hohenheim oder Silberburg. Auch bin ich keineswegs davon begeistert, dass Abgeordnete mit sehr rechten Gesinnungen im Bundestag und etlichen Landtagen sitzen. Ganz im Gegenteil. Und ja, es gibt Grenzen für die Meinungsfreiheit. Beispiele sind die Paragrafen gegen Volksverhetzung oder das Leugnen des Holocausts.

Wie und wo aber haben wir die Anwesenheit von Verlagen einzuordnen, die rechtslastige Texte veröffentlichen? Sie sind ein Ärgernis. Gewiss. Aber bedeutet ihr Auftritt auch eine Bedrohung? Laufen ihre Chefs, die Angestellten, Autoren und Leser mit dem Messer durch die langen Gänge auf der Buchmesse? Und regt tatsächlich, was dort angepriesen wird, zu Taten nach dem Muster von Hanau an, wie Mahn unterstellte?

Die Ausschließeritis greift um sich.

Das kann niemand ganz ausschließen. Wirkungsvoller aber, als Verlage von der Messe fernzuhalten, wäre es freilich, das Internet abzuschalten. Schließlich holen sich die mörderischen Radikalinskis aller möglichen Ismen ihre Anregungen heutzutage eher aus dem Netz als aus Büchern – wenn man manche religiöse Texte einmal ausnimmt. In dieser Kloake aus Rassismus, Ressentiment und Fremdenfeindlichkeit können sich die modernen Hasser und Hasserinnen unerkannt austoben und bedienen. Trotzdem wollte Mahn im Auftauchen der inkriminierten Verlage unbedingt eine Gefahr für Leib und Leben schwarzer Autorinnen sehen. Was für ein Theater!

Mich hat es beeindruckt, allerdings nicht im Sinne der Aktivistinnen, aber doch gerade ihretwegen. Wie sie, so bin auch ich in Sorge um die Meinungsfreiheit in diesem Lande. Die Ausschließeritis greift um sich, und sie betrifft ja nicht nur Rechtsradikale, wofür es Gründe gibt, sondern greift über auf viele andere, die im Mainstream des öffentlichen Diskurses nicht mitschwimmen wollen – Politiker, Professoren, Journalisten. Das ist gefährlich. Deshalb kam mir sogleich, bei all diesen Anschuldigungen, ein Zitat in den Sinn, das dem großen Aufklärer Voltaire zugeschrieben wird und in verschiedenen Versionen nachzulesen ist. Die knappste Fassung: „Ich hasse, was du sagst, aber ich gebe mein Leben dafür, dass du es sagen darfst.“ Und natürlich dachte ich auch sofort an Rosa Luxemburgs Satz von der Freiheit, die immer die Freiheit des Andersdenkenden ist.

Öffentliche Aufmerksamkeit, das ist die Goldwährung unserer Zeit

Selbstverständlich kann ich nicht wissen, was die wahren Motive der streitbaren Frauen sind, die den Frankfurter Trubel verursacht haben. Doch mit dem Aufschrei der vorgeblichen Bedrohung sind sie in unserer für Rassismus so hochempfindlichen Gesellschaft in alle Medien gekommen. Wie schön. Öffentliche Aufmerksamkeit, das ist die Goldwährung unserer Zeit. Jetzt kennt man die Namen Jasmina Kuhnke oder Mirrianne Mahn. Das sei ihnen gegönnt. Doch das, was einzelne Personen als ihre schmerzliche Empfindung ausgeben, darf nicht zur Richtschnur für Ausgrenzungen werden. Sonst könnten jeder und jede kommen, ob mit schwarzer oder weißer Hautfarbe, könnten sich als Opfer, als bedroht, als nicht geliebt, gedemütigt oder diskriminiert ausgeben. Da wären wir am Ende nur noch von Anklagen und einer wachsamen Intoleranz umgeben.

In Frankfurt zumindest ist kein Unrecht geschehen. Eine begabte schwarze Frau, Tsi tsi Gangarembga, wurde ausgezeichnet, eine andere begabte schwarze Frau, Aum Obama, hielt die Laudatio, eine dritte schwarze Frau durchkreuzte den Ablauf einer Preisverleihung. Das Publikum applaudierte. Der Oberbürgermeister unterwarf sich demütig der Störerin. Toleranter als unsere kann eine Gesellschaft kaum sein.

Am nächsten Dienstag, 9. November, lesen Sie eine Kolumne von Reiner Ruf.