Angela Merkel will mit Lorbeer umkränzt abtreten. Das könnte jedoch schwierig werden.

Stuttgart - Das muss man sich einmal klarmachen: In den Zeitraum von Merkels Kanzlerschaft, der sich nun schon über 13 Jahre dehnt, passt das ganze Dritte Reich mit dem unendlichen Leid, das Hitlers Schreckensregime über Deutschland, Europa und die Welt gebracht hat. Welches Glück also für uns Heutige, in einem demokratischen System zu leben und von einer so intelligenten, wenngleich wenig aufregenden Person wie Angela Merkel regiert zu werden. Ein größerer Gegensatz im Vergleich zweier fast gleich langer Zeitspannen ist kaum denkbar. Doch nun, nach ihrem Verzicht auf den Vorsitz der CDU, ist das Ende der milden Merkel-Herrschaft nah. Was also bleibt von der Regierungszeit dieser Frau, die ihr Amt bald aufgeben wird? Nichts als Heil und Segen? Was hat sie uns gebracht, was gekostet oder gar eingebrockt?

 

In weißer Bluse und gestreiftem Röckchen

Am Anfang war da nichts als eine Landpomeranze in der Rolle der stellvertretenden Regierungssprecherin von Lothar de Maizière, des ersten und einzig frei gewählten Ministerpräsidenten der DDR. In weißer Bluse und weiten, halblangen, gestreiften Röcken trat sie auf das Podium von Pressekonferenzen. Fehlte nur ein Korb am Arm, und die Obstpflückerin wäre perfekt gewesen. Kein Mensch hätte sich ausmalen können, dass dieses blasse Mädchen einen Hang zur Macht hat und später einmal zu Kanzlerwürden aufsteigen würde.

Die Männer werden beiseite geräumt

Jahre danach sah man sie dann schon im Hosenanzug zielstrebig durchs Reichstagsgebäude stürmen. Die ersten Männer, Kohl und Merz, waren bereits zur Seite geräumt. Aber immer noch konnte sie dieses mädchenhafte Lächeln in ihr Gesicht zaubern. Inzwischen ist es selten geworden. Die Macht, heißt es, sei sexy, aber sie strengt auch an. Schöner macht sie nicht. Doch der Macht hat sich diese Frau verschrieben. Da zählt dann vieles andere nicht mehr. Auch deshalb wurde in der Geschichte der Bundesrepublik bisher jeder Abschied davon zum Drama. Konrad Adenauer, der Gründervater der Bundesreplik, der sich wohl für unersetzlich hielt, musste von seiner Partei in den politischen Ruhestand gestoßen werden. Willy Brandt, mehr Visionär als Machtmensch, Versöhner mit dem Osten, konnte sich sogar nach einer triumphal gewonnenen Bundestagswahl wegen der Guillaume-Affäre und anderer Fehler nicht mehr halten. Selbst Helmut Schmidt, der große Krisenbewältiger, der Weltwirtschaftsweise, der Bilderbuchkanzler und versierte Technokrat, musste nach einem konstruktiven Misstrauensvotum weichen. Helmut Kohl, seinem Nachfolger, dem Kanzler der Einheit, zeigten die Wähler schließlich die Rote Karte. Ebenso erging es Gerhard Schröder, dem Beweger dringend notwendiger Reformen, also der umstrittenen Agenda 2010. Kein einziges Mal ging der Abschied ohne Schmerzen ab.

Sie will nicht leiden

Nun also Merkel! Sie will nicht leiden. Es wäre jedoch ein Wunder, wenn ihr das gelänge. Und natürlich will auch sie lorbeergeschmückt und mit der Auszeichnung eines besonderen Verdienstes für das Land in die Uckermark entschwinden. Aber das wird nicht so einfach. Die ruhige, die gelassene Angela Merkel, die Kanzlerin der kleinen Schritte, hinterlässt uns zwei einsame Entscheidungen mit explosiven Wirkungen: die Energiewende, die sie unter dem Eindruck der Katastrophe von Fukushima aus dem Ärmel zauberte und damit die kurz zuvor gefassten, besonnenen Atomausstiegspläne versenkte. Weitreichender womöglich und mindestens so schlecht zu bewältigen wird sein, was im Sommer und Herbst 2015 geschah. Auch da gab es zuvor ein anderes Signal: ein im Fernsehen gesendetes Gespräch mit einem palästinensischen Flüchtlingsmädchen, dem die Kanzlerin bedeutete, es könne nicht jeder bei uns bleiben. Das arme Kind brach in Tränen aus. Ein Aufschrei der Empörung über so viel Kälte der Macht hallte durch das Land. Die Kanzlerin war beschädigt.

Angela Merkel als Menschenfreundin

Doch dann erschienen die Flüchtlinge, und mit ihnen ergab sich die Gelegenheit, einen anderen Eindruck zu vermitteln. Das Publikum erlebte Angela Merkel als Menschenfreundin, als Retterin der Verfolgten und Entrechteten. Sie ließ die Leute ins Land, zunächst unkontrolliert, sie nahm sie in die Arme, sie schmiegte sich zum Selfie an fremde Männerwangen, hieß alle willkommen, die Mühseligen und die Beladenen. Das war richtig schön, obwohl doch Behörden und Gerichte bald unter der Last zu ächzen begannen. Gleichwohl folgte auf das Bild der Hartherzigen nun das der Hochherzigen. Viele Bundesbürger schlossen sich ihrer Kultur des Willkommens an.

Aber mit den Guten kamen auch die weniger Guten wieder ans Tageslicht gekrochen. Es kam der Hass, es kam die Intoleranz, es kam die Fremdenfeindlichkeit, es kam der Antisemitismus, es kam alles, was wir für immer besiegt glaubten. Es kam der Erfolg einer neuen Partei. Nun sitzt die AfD im Bundestag, sitzt in den Landtagen. Und etliches was da gesagt und aufgeführt wird, erinnert uns erschreckend an die ganz alten Hitler-Tage. Allen schönen Merkel-Gesten und Merkel-Taten zum Trotz: Das gehört zu ihrer Hinterlassenschaft.

Ja, sie wird als Flüchtlingskanzlerin in die Geschichte eingehen. Doch dieses Etikett könnte mindestens so viel Tadel wie Lob bedeuten.