Vor einem Jahr begannen die Aktivistinnen und Aktivisten der Gruppe Letzte Generation mit Straßenblockaden. Eines haben sie seitdem erreicht: Die Klimakrise ist in Deutschland im Gespräch geblieben.

Am 24. Januar 2022 taten sie es zum ersten Mal. Etwa zwei Dutzend Aktivistinnen und Aktivisten der Letzten Generation blockierten in Berlin zeitweise Straßen. Betroffen waren die Autobahnauffahrten der A103 in Steglitz sowie der A114 in Pankow. So ist es in Medienberichten nachzulesen. Sekundenkleber war damals offenbar noch nicht im Spiel.

 

Die erste Straßenblockade der Letzten Generation, sie ist bald ein Jahr her. Ihre offiziellen Ziele - ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern auf deutschen Autobahnen sowie ein dauerhaftes Neun-Euro-Ticket – hat die Gruppe nicht erreicht. Etwas anderes aber ist den Aktivisten gelungen. Die Klimakrise ist in Deutschland im Gespräch geblieben – und das in einem Jahr, in dem dies unwahrscheinlicher gewesen sein dürfte als je zuvor.

Russlands Angriffskrieg und steigende Energiepreise

2022 war geprägt vom furchtbaren Angriff Russlands auf die Ukraine, von den Bildern der Toten, von dem Schrecken, dass nur einen sehr langen Tag im Auto entfernt von hier der Krieg wütet. Deutschland diskutierte über Waffenlieferungen, über Benzin-, Gas-, Öl- und Holzpelletpreise und darüber, wer wie wann entlastet werden sollte oder müsste. Christian Lindner (FDP) heiratete in einer Kirche auf Sylt, obwohl weder er noch seine Frau Mitglied der Kirche sind. Elon Musk kaufte Twitter. Harry und Meghans Doku ist raus. Eine Razzia gegen Reichsbürger machte deutlich, wie groß die Bedrohung des Staates von rechts ist. Es fand eine Fußball-WM statt und die allgemeine Impfpflicht… kam dann doch nicht. Corona gab’s aber trotzdem noch. Im Sommer war es ein paar Wochen lang sehr heiß. Aber mal ehrlich: Erinnern Sie sich überhaupt noch, wie Sie damals geschwitzt haben?

Der Kampf um Aufmerksamkeit ist brutal. Das haben die Aktivisten der Letzten Generation verstanden. Gerade deshalb setzen sie auf eine Aktionsform, die in Deutschland schwer zu ignorieren ist. Kaum etwas ist in diesem Land so heilig wie die freie Fahrt für freie Bürger – mit dem Auto, versteht sich. Die Strategie der Letzten Generation ist aufgegangen. Zeitungsberichte, Talkshows, Radio-Features und Meldungen in Nachrichtensendungen: Die Aktionen der Gruppe waren über das Jahr 2022 hinweg in der Öffentlichkeit präsent.

Klimakrise wurde zum Thema

Dabei wurde zwar auch sehr viel über Dinge gesprochen, die mit der Klimakrise an sich nichts zu tun haben. Was studiert Carla Hinrichs? Wie weit darf Protest gehen? Was ist juristisch gesehen eine Nötigung? Und sind 30 Tage hinter Gittern in „Präventivgewahrsam“ angemessen, um Menschen daran zu hindern, eine Straße zu blockieren? Trotzdem: Zieht man von der Zeit, die ein durchschnittlicher Deutscher im Jahr 2022 gedanklich mit der Letzten Generation verbracht hat, sagen wir mal 80 Prozent für die oben beschriebenen Nebenthemen ab, dann bleiben immer noch: 20 Prozent Aufmerksamkeit für die Klimakrise. Aufmerksamkeit, die sonst vielleicht an Prinz Harry oder Lindners Hochzeitsporsche gegangen wäre.

Die ZEIT-Journalistin Petra Pinzler hat es bei Anne Will vor ein paar Wochen auf den Punkt gebracht: „Ich bin mir nicht sicher, ob wir heute Abend über Klima reden würden, wenn es nicht diese Proteste geben würde“, sagte sie.

Man kann von den Aktionen der Letzten Generation halten, was man will. Klar ist: Die Gruppe hat im vergangenen Jahr dazu beigetragen, dass die größte Bedrohung der Menschheit nicht in Vergessenheit gerät.