Manchmal wäre ein bisschen weniger Aufregung besser als schon wieder eine Petition, meint unsere Kolumnistin Katja Bauer zum aktuellen Streit um öffentliches Stillen.

Berlin - Johanna Spanke, Mutter eines Säuglings in Berlin, ist seit vergangener Woche bundesweit bekannt. Den Grund beschreibt sie selbst so: In einem Café im Prenzlauer Berg sei ihr verboten worden, ihr Kind zu stillen. Der Wirt sagt dagegen, es sei Frau Spanke mitgeteilt worden, dass sie nicht vorne an der Theke im Schaufenster, sondern wenn, dann diskret im hinteren Teil des Lokals stillen solle. Wie es genau war, wird sich nicht mehr klären lassen.

 

Jedenfalls hat sich Frau Spanke aufgeregt und sah sich in ihren Rechten diskriminiert. Sie tat, was immer mehr Menschen tun: sie startete eine Onlinepetition – in diesem Fall an die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. „Wir fordern ein Gesetz zum Schutz des Stillens in der Öffentlichkeit!“ Mehr als 15 000 Menschen haben unterschrieben. Der Wirt wird im Internet aufgefordert, die Stadt zu verlassen. Ein Mensch, der dort Verständnis für dessen unternehmerische Freiheit äußert, wird mit Worten beschimpft, für deren Verbot es vermutlich bald eine Onlinepetition gibt.

Fast alles an dieser Geschichte ist bedauerlich: die Unfähigkeit zum Umgang mit unterschiedlichen Interessen führt zu einem aberwitzig hohen Erregungslevel. Nur derjenige kann ihn erreichen, der ausschließlich das eigene Dasein in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Die Folge ist Regelungswahn.

Hier wurde die Latte-Macchiato-Mutter erfunden

Der Prenzlauer Berg ist ein Stadtteil mit vielen Cafés und vielen Eltern. Die Latte-Macchiato-Mutter wurde hier erfunden, schon die Existenz dieser Klischee-Figur widerspricht der Behauptung, Mütter mit Säugling seien in Lokalen unwillkommen. Überall im Kiez gibt es Kinderwagenparkzonen, Cafés mit Spielzimmern, Apotheken mit Stillräumen.

Der Betreiber des Cafés, das sich Frau Spanke ausgesucht hat, pflegt seine Liebe zum Kaffee mit demselben religiösen Eifer wie manche Frauen ihre Mutterschaft und ist vielleicht ein wenig misanthropisch. In dem Lokal mit minimalistischem Gestaltungswillen ist eine ganze Menge nicht möglich. Laptops sind verboten, Filterkaffee wird niemals mit Milch serviert, gegen Kinderwagen steht ein Poller im Eingang (weshalb vor Jahren ein Empörungssturm ausgebrochen war). Aber der Wirt hat offenbar eine Marktlücke entdeckt. Und ein Lokal ist kein öffentlicher Raum, sondern ein Unternehmen.

Whisky und Zigarren auf dem Spielplatz

Das alles kann man mit einigem Recht blöd finden. Man kann einfach ins nächste Café gehen und muss hier keinen Cent lassen. Genauso wenig, wie man sich mit einer Flasche Whisky und einer Zigarre auf die Bank am Spielplatz setzen muss. Zumindest, wenn man nicht von Eltern zu Recht darauf hingewiesen werden möchte, dass das keine gute Idee ist. Vernunftbegabte Menschen würden das gar nicht erst machen. Andere denken vielleicht über eine Petition nach. Die wäre dann so nötig wie der Ruf nach einem Stillgesetz. Stillen ist erlaubt.

Es ist Alltag. Ein strukturelles Problem existiert nicht. Und gar nicht jede will im Lokal stillen. Man kann im Netz auch eine Petition für einen abgeschiedenen Stillraum finden, damit man nicht in ein Lokal muss. Die Bedürfnisse sind eben unterschiedlich. Das strukturelle Problem heißt jedenfalls nicht Mütterfeindlichkeit. Alle Beteiligten könnten sehr friedlich leben, vielleicht nicht miteinander, aber nebeneinander. Mit etwas mehr Toleranz und etwas weniger Aufregung.