Was passiert, wenn ein Zuschauer von einem Zauberer zum Mitmachen auf der Bühne genötigt wird? Er sinnt, wie unser Kolumnist Uwe Bogen, nach Rache!

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Die Angst des Zuschauers vor der Bühne: mögen Zauberer oder Comedians ihren Spaß daran haben, in Shows über ahnungslose Besucher herzufallen, um sie zum Mitmachen zu nötigen – auf der anderen Seite des Theatersaals aber freut sich weltweit kein Opfer darauf.

 

Nein, alle hassen es, auf die Bühne gezogen zu werden. Was wiederum die Künstler anspornt. Nicht selten spielen sie mit der Furcht des Publikums vor der öffentlichen Bloßstellung.

Fiese Kunst! Wenn ich in ein Konzert geh’, drückt mir doch auch nicht der Dirigent die Geige in die Hand, um auf offener Bühne allen zu zeigen, was ich nicht kann.

Die Kistennummer ist 100 Jahre alt

Bin ich ein schlechter Hammermann? Bei der Premiere von „Swingtime“ im Friedrichsbau Varieté (bis zum 11. Februar leuchten dort die Goldenen Zwanziger mit Swing und Charleston nostalgisch-verführisch auf) hat’s mich in Reihe 4 erwischt. Zielstrebig lief der spanische Magier Raúl Alegria auf mich zu, um mich auf die Bühne mitzunehmen.

Erst musste ich eine Kette um seine Hände legen, dann ihn in eine Kiste einsperren und diese mit Nägeln verschließen. Weil – oh Wunder – Alegria wenig später ohne Kette fern der Kiste auf der Bühne stand, als wär’ nichts gewesen, warfen mir in der Pause etliche Zuschauer vor, einen schlechten Job gemacht zu haben. Hätte ich besser gehämmert, so musste ich im Foyer des Friedrichsbaus hören, hätte er nicht aus seinem engen Gefängnis entschwinden können. In meiner Ehre als Nagelklopfer verletzt, habe ich mich an den Stuttgarter Lokalmatador Topas gewandt – an den zweifachen Weltmeister der Magie.

Natürlich habe ich ihn nicht gefragt, wie der Trick funktioniert – mit solch profanen Angelegenheiten sollte man niemals einen Illusionisten behelligen. Es reichte mir schon, dass Topas keinen Zweifel an einer elementaren Befähigung hatte. „Du bist ein guter Nagler“, versicherte er mir männersolidarisch.

Selbst der beste Nagler der Welt hätte es nicht vermocht, den Ausbruch des spanischen Zauberers aus der Holzkiste zu verhindern, sagte Topas. Die Kistennummer ist ein Klassiker und eine Verbeugung vor einem ganz Großen der Zauberzunft.

Die Angst der Varieté-Macher vor der Rache

Harri Houdini , ein weltberühmter Entfesslungskünstler, der von 1875 bis 1926 lebte, hat die Nummer vor 100 Jahren perfektioniert. „Platzwechsel“, sagen die Zauberprofis dazu. „Bis heute gibt es viele Varianten davon“, weiß Topas. Er hatten den Kisten-Klassiker auch schon im Programm. Kaum steckt der Magier fest, taucht er an anderer Stelle auf. Der große Houdini, von dem nicht geklärt ist, ob er im ersten Friedrichsbau vor 100 Jahren in Stuttgart gezaubert hat, wie mitunter behauptet, hat sich sogar in der Themse in London versenken lassen – wohlgemerkt: eingesperrt in einer Kiste.

Die Angst der Varieté-Macher vor der Rache: ob es nun der Friedrichsbau-Geschäftsführer Timo Steinhauer war, der den Kistenmagier auf mich angesetzt hat, oder die Friedrichsbau-Sprecherin Mascha Hülsewig, ist nicht geklärt. Mit Topas vereinbart jedenfalls ist, dass wir die beiden in eine Kiste stecken und versenken – nur im Neckar, nicht mal in der Themse.

Angeblich treffen sich die zwei Varieté-Verrückten bereits jeden Morgen im Mineralbad Cannstatt zum Luftanhalt-Training – zu einem Arbeitstermin also.

Dieses Spiel, liebe Freunde vom Friedrichsbau, ist eine enge Kiste. Wenn es eng wird im Leben, sollte man den Ausbruch wagen – und sich etwa in vergangene Zeiten zurückträumen. Die goldenen Zwanziger mit Glamour und poetischer Kraft eignen sich bestens dafür. Da haben wir’s mal wieder, wie wichtig der Friedrichsbau heute noch für uns alle ist.

Weitere Kolumnen von Uwe Bogen sind im StN-Buch „Goht’s no?“ (Belser-Verlag) erschienen.