Wie man spielfreie Tage bei der WM übersteht? Alte Fußballbücher studieren. Von Fritz Walters „3:2 – Die Spiele zur Weltmeisterschaft“ bis „One Night in Rio“ von Paul Ripke: Wie sich die Geschichtsschreibung der WM verändert hat.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - An diesen schrecklich trostlosen spielfreien WM-Tagen droht man ja schnell in ein Loch zu fallen, tiefer als jede S21-Grube. Da wird man wochenlang konditioniert auf Chips und Spiele und sitzt dann sabbernd vor dem fußballfreien Schirm wie der Pawlowsche Hund.

 

Um diesen unschönen Zustand zu vermeiden, lohnt der Blick ins Bücherregal, genauer gesagt in die Abteilung deutsche WM-Bücher. Anhand der beiden Werke „Fritz Walter, 3:2 – Die Spiele zur Weltmeisterschaft“ von 1954 und „One Night in Rio“ von 2014 lässt sich zeigen, wie drastisch sich die Welt innerhalb von einem Menschenleben verändert hat.

Das Rio-Buch nimmt die Abgehobenheit der Weltmeister vorweg

Das Rio-Buch nimmt die in Russland schmerzlich gespürte Abgehobenheit der Weltmeister von 2014 vorweg. Die Gold-Edition der Publikation wiegt über vier Kilo und signalisiert dank goldenem Leinenhardcover mit goldener Prägung, wohin die bescheidene Reise der Weltmeister gehen wird. Nach all den Aufnahmen von WM-Fotograf Paul Ripke motiviert Oliver Bierhoff das DFB-Betreuerteam mit einer Anekdote aus den Anfangsjahren der Raumfahrt. Warum wurde Bierhoff nach Rio eigentlich nicht auf den Mond geschossen?

Ganz anders das Fritz-Walter-Buch. Das erinnert vom Spirit her an das ewig unerreichte „11 Freunde müsst ihr sein“ von Sammy Drechsel, mit einer Spur mehr Wiederauferstehungs-Effekten vor grauer Nachkriegsdeutschland-Kulisse.

Was machen die Spieler nachts nach einer Begegnung?

Die Mythen rund um das „Wunder von Bern“ sind natürlich präsent. All die Details aber und Anekdoten, die Fritz Walter erzählt oder erzählen lässt, sind wie Geschichtsunterricht – in spannend. In der Qualifikation zur WM spielt die Elf von Sepp Herberger unter anderem gegen das Saarland, trainiert von Helmut Schön, der Fritz Walter anschließend gratuliert und viel Erfolg bei der WM wünscht.

Als Fan will man ja wissen, was die Spieler nachts treiben nach einer Begegnung, wenn das Adrenalin noch durch den Körper rauscht. Fritz Walter teilt sich wochenlang mit Helmut Rahn das Zimmer und erlebt nach einem Spiel Folgendes. „,Aber ich bin doch knallwach’, schreit Helmut so laut, dass ich erschrocken hochfahre. Mit beiden Beinen strampelt er seine Decke weg, springt aus dem Bett, schlägt einen Salto und liegt auch schon wieder in den Federn.“ Was man halt nachts so macht.

Ähnliches Humor-Level: Helmut Rahn und Lukas Podolski

Wenn der „Boss“ keine Salti schlägt, steht er auf dem Balkon und preist im Stile einer Marktfrau seiner Heimatstadt Essen fiktives Gemüse an: „Prima schnittfeste Tomaten heute, Leute. Kauft die prima Oma-Lutsch-Birnen.“ Rahn hat also nicht nur aus dem Hintergrund geschossen, er war auch in der Liga der Humoristen in Lukas-Podolski-Sphären unterwegs.

Das Buch beweist überdies, dass die Menschheit schon vor Twitter schlecht war: In Briefen wird Herberger von „Fans“ nach der 3:8-Niederlage gegen Ungarn empfohlen, er möge sich bitte aufhängen.

Rührend sind die ersten zwei Seiten des Buches: Die Mitspieler und Sepp Herberger schreiben kurze Wünsche für den Erfolg des Werkes auf. Fritz Walters Bruder Ottmar besticht durch die schönsten Zeilen: „Bruderherz, hoffentlich geht Dein Buch so gut wie meine Tankstelle in den ersten Tagen nach der Weltmeisterschaft.“ Manchmal wünscht man sich in die Zeit von Fritz Walter zurück – nicht nur wenn man an Oliver Bierhoff denkt.