Der britische Soziologe Desmond Morris hat den Fußball bereits 1981 entschlüsselt. Seine Thesen sind entzückend aktuell.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Die dürre Erkenntnis nach vier Wochen WM: Ballbesitz ist nichts mehr wert, stattdessen wird gerannt wie gedopt. Spiele werden durch Standardsituationen entschieden. Football ist doch nicht coming home, auch wenn sich diese englische Rasselbande sogar beim Eckball im Strafraum britisch höflich anstellt, als würde sie an der Liverpool Street Station auf den Bus warten.

 

Bei manchen Spielen (Deutschland gegen Mexiko, Deutschland gegen Südkorea und Frankreich gegen Dänemark) war man verzweifelt auf der Suche nach sinnvolleren Tätigkeiten wie Feinstaub zählen oder Bücher im Regal farblich sortieren.

Bibliothek in der Toilette

Mein Lieblingsspieler bei dieser WM? Leser D. aus E. Er hat den völlig überspielten Kolumnisten vor einem Syndesmose-Riss in allen elf Fingern gerettet, indem er ihm selbstlos die besten Fußballbücher seiner Sammlung geliehen hat. Nun muss man wissen, dass allein in D.’s Toilette unter dem Motto „Entleerung und Belehrung“ mehr Bücher stehen, als eine mittelgroße Kleinstadtbibliothek im Fundus hat.

Zur stattlichen Kollektion von Leser D. aus E. gehört auch ein unterhaltames Buch zur Dechiffrierung von Fußball: „Das Spiel. Faszination und Ritual des Fußballs“ von Desmond Morris. Das Werk des Soziologen und Verhaltensforschers ist 1981 erschienen, wirkt in vielerlei Hinsicht aber entzückend aktuell. Morris interpretiert Fußball als die Fortsetzung der Stammeskämpfe. Verkürzt gesagt bezieht sich der Brite in seiner Theorie auf die Tatsache, dass seit der Erfindung der Mikrowelle die Menschen Tiere nicht mehr eigenhändig jagen und töten müssen. Gut, vor dem Siegeszug des Fertiggerichtes wurden noch Ackerbau und Viehzucht etabliert. Seitdem muss das Menschlein aber eben nicht mehr auf die Jagd gehen, was aber ungeschickt ist, weil wir die Stammesrituale der Altvorderen immer noch in unserer DNA haben.

Fußball als Ersatz für die Jagd

Und so schuf Gott den Fußball als Ersatz für die Jagd an einem Samstag um 15.30 Uhr. Morris, der mit dem Buch „Der nackte Affe“ bekannt wurde, beschreibt den „Übergang vom Beute- zum Torjäger“ auf unterhaltsame Art: „Die Spieler greifen das Tor an, der Ball wird ins Tor geschossen. Der Gebrauch solcher Wörter liefert einen Hinweis auf die wahre Natur des Fußballs als eine verkappte Jagd.“

Was würde Morris über die aktuelle WM schreiben? Vielleicht das: Der Stammesälteste der Kroaten, Luka Modric, dessen einziges Manko ist, dass er der unerträglichen Beatrix von Storch ähnlich sieht, hat seinen Stamm ins Finale gegen die Jäger aus Frankreich geführt. Wer diesen stilisierten Kampf am Sonntag gewinnen mag? Das wissen nur Artemis, die Göttin der Jagd, Desmond Morris – und Leser D. aus E.