Nach dem Aus der deutschen Nationalmannschaft: die verzweifelte Suche nach Ersatzdrogen zum Mitfiebern führt zu einem französischen Wiesel, Ochsen aus Urugay und Jorge Sampaolis Oberarmen.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Wie all die anderen 80 Millionen Bundestrainer in Deutschland hat auch mich das Aus der Nationalmannschaft bei der WM nachhaltig verstört. Ohne anderen zu nahe treten zu wollen, hat es mich aber heftiger erwischt. Als ich zwölf Jahre alt war, wurden Beckenbauers’ Eleven in Italien Weltmeister. Eine ungünstige Konstellation, bestehend aus Sternenbild, Schwärmen für Jürgen Klinsmann und der Tatsache, dass Lothar Matthäus nur dann zu ertragen ist, wenn er nonverbal ganze Länder auf dem Platz austanzt, haben mein zwölf Jahre altes Ich zu einem Fan der Nationalelf werden lassen.

 

Immer wenn EM oder WM ist, bin ich geistig also wieder zwölf. Meine Frau behauptet, dass dieser Geisteszustand auch außerhalb von Kontinentalmeisterschaften zu beobachten sei. Bei WM oder EM ist die Unreife aber besonders ausgeprägt.

Ein Chilene, der Maradonna vor seinen falschen Freunden schützen könnte

Seit dem vergangenen Mittwoch bin ich also auf der Suche nach einer Ersatzdroge, um die restlichenTurnierwochen emotional bestreiten zu können. Diese Suche hat mich zu Jorge Sampaoli geführt, dem Trainer der argentinischen Nationalmannschaft: Ein Chilene, der Messi endlich zum WM-Titel führen sollte und dabei aussieht, als würde er keiner Kneipenschlägerei aus dem Weg gehen. Seine tätowierten Oberarme haben mich nachhaltig beeindruckt. Diese Oberarme hätte auch Diego Maradonna gut gebrauchen können, Freunde scheint er nämlich keine zu haben. Ein Video, das im Internet kursiert, zeigt den Verfall der Ikone: Seine Begleiter klopfen der ehemaligen Hand Gottes auf die Schulter, weil sie ein Schnapsglas vom Ellbogen direkt in den Mund bugsieren kann. Ein solch würdeloses Schauspiel konnten aber auch Sampaolis mächtige Arme nicht verhindern: Argentinien ist raus, Diego ist raus. meine Suche geht also von vorne los.

Im April 2017 habe ich mich in Kylian Mbappé schockverliebt, als er in der Champions League gegen Borussia Dortmund seine Weltwunderhaftigkeit andeutete. Und dann dieser Samstag! Dieser Antritt! Diese Torgefahr! War das schon der Wachwechsel, der die Zeit nach der Götterdämmerung, nach Messi und Ronaldo, erträglich macht? Ich freue mich auf das Viertelfinale, wenn dieses französische Wiesel sich mit den beinharten Ochsen aus Uruguay auseinandersetzen muss – und entschuldige mich für die unpassenden Tiervergleiche im letzten Satz.

Schweden hat gezeigt, wie man mit Angriffen vom rechten Spielfeldrand umgeht

Ansonsten fiebere ich mit den Schweden mit, die gezeigt haben, wie man mit Attacken von der rechten Flanke umgeht: Indem man mit einem lauten „Fuck Racism“ zusammensteht, wie es das Team nach den Angriffen auf Jimmy Durmaz getan hat. Nicht auszudenken, wenn sich die deutsche Nationalmannschaft schon nach dem depperten 1:2 gegen Österreich in Südtirol zu einer solchen Geste des Menschenverstandes zusammengerauft hätte, mit Özil in der Mitte, der erklärt, dass Fotos mit Despoten allgemein doof sind, dass man aber jetzt gegen die Gaulands im eigenen Strafraum zusammensteht und schönen Fußball spielen mag. Vielleicht müsste ich mich dann gerade gar nicht auf die Suche nach Ersatz zum Anfeuern begeben.