Wer altersbedingt in den ersten 45 Minuten eines WM-Spiels einschläft, hat danach besondere Träume: Von einem neuen Weltmeister-Song der Fantastischen Vier. Und von japanischen Spielernamen, die wie Gedichte klingen.

Freizeit & Unterhaltung : Ingmar Volkmann (ivo)

Stuttgart - Manchmal erfasst mich eine Seehoferigkeit, die sich bei mir nicht in Machtgelüsten in der Provinz äußert, sondern in tatteriger Müdigkeit. Bei dieser WM bin ich regelmäßig in ersten Spielhälften eingeschlafen, und zwar nicht nur, wenn Deutschland gespielt hat.

 

Das klingt jetzt etwas frühvergreist, hat aber den Vorteil, dass die zweite Spielhälfte dann oft traumhaft läuft. Zum Beispiel beim Achtelfinale Belgien gegen Japan. Vor der Pause: langweiliges Gekicke, spielerische Schlaftablette, Tiefschlaf der Couchkartoffel. Dann aber Feuerwerk in Abschnitt zwei und langsames, erholtes Erwachen. Die japanischen Tore und ihre Entstehung klingen aus der Tiefe der Schläfrigkeit wie ein Haiku, wie die traditionelle japanische Gedichtform, in der Spielsachen, Flughäfen und arktische Eingeborene aufgezählt werden: Haraguchi, Osako, Inui.

Das Versmaß der Haiku ist kompliziert

Connaisseure werden nun einwenden, dass das klassische Versmaß des Haiku, die 5-7-5-Silbenstruktur, in meinem 4-4-2-Traum nicht erfüllt wird. Details erspare ich uns, es geht im Prinzip um die Morigkeit, also das Silbengewicht, was zu zwei Fragen führt: Darf man in diesem Kontext noch Mohr sagen? Und was macht eigentlich Emre Mor, der als türkischer Messi gehandelt und beim BVB rausgeworfen wurde?

Verschläft man die erste Hälfte, kann man sich auf ein Drama wie das späte 3:2 der Belgier gegen Japan im Achtelfinale viel besser einlassen. Immer wenn Maya Yoshida, der Kämpfer in der Innenverteidigung, am Ball war, habe ich damit gerechnet, dass ein paar Verse aus dem berühmten Hagakure, dem Ehrenkodex der Samurai, zitiert werden. Zum Beispiel: „Es heißt, ein Krieger sollte Sake, Eitelkeit und Luxus meiden.(...) Sieh dir die Natur des Menschen an. Es ist unpassend, sich etwas darauf einzubilden, wenn die Dinge gut stehen“ (Hagakure, aus dem zweiten Kapitel). Verrückt, dass Yamamoto Tsunetomo den russischen Absturz der WM-Helden von Rio bereits 1710 vorausahnte, als er die Bibel des vorindustriuellen japanischen Kriegeradels formulierte. Und: Schade, dass Jürgen Klinsmann nicht japanischer Nationaltrainer wird. Das hätte gepasst mit dem schwäbischen Samurai.

Ein neuer Text für den Fanta-Vier-Song „Zusammen“

Wie lässt sich das traurige Ausscheiden der DFB-Elf literarisch verarbeiten? Auf der Suche nach Romantiteln für das Vorrundenaus ist einem Kollegen „Schuld und Süle“ eingefallen. In dem kurzen Moment der Hoffnung, dass die deutsche Mannschaft sich nicht komplett blamiert, also zwischen Schweden und Südkorea, hatte ich mich in einem meiner Erste-Hälfte-Schläfchen an die Spitze der Charts geträumt, mit einem Remix des WM-Songs der Fantastischen Vier, „Zusammen“.

Der neue Refrain lag auf der Hand, „#ZSMMN sind wir Kroos“, und mit dem Text selbst war ich recht weit, wie ich finde: „Denn die Wahrheit liegt auf dem Roten Platz / Stets zusammen wie Boateng und Mats / Spiel wie Reus einen Pass / Weil nichts zwischen Jogi und Bierhoff passt!“

Vielleicht liegt mir so ein moderner Haiku mit falschem Silbenmaß doch besser.