Viele der 80 Millionen Bundestrainer und Experten, die uns 2014 zum WM-Titel geführt haben, sind nun Migrations- oder Außenpolitik-Experten. Da hilft nur Klopapier.

Stuttgart - Ich bin eine Turniermannschaft, so ähnlich wie Manuel Neuer. Seit Jahren ist das so: Bis das Turnier Fahrt aufnimmt, komme auch ich nicht in Stimmung. Völlig egal, ob da im Supermarkt Flaggen an den Bierkisten hängen oder die Schokoerdnüsse plötzlich in Braun, Rot, Gelb angeboten werden. Das alleine schon ist großer Quatsch. Berechnungen haben ergeben, dass da Grün und Blau fehlen – und dass weniger manchmal tatsächlich weniger ist. Andere Berechnungen deuten darauf hin, dass sich Bier in Deutschland auch ohne Wimpel prächtig verkauft.

 

Aus reiner Bockigkeit lasse ich albernes WM-Merchandise immer links liegen. Feelings bekommt man vom Gefühl her oder gar nicht. Basta. Beim WM-Toilettenpapier konnte ich allerdings nicht widerstehen. Aufs Blatt gedruckt: die Spielzüge, die zu den entscheidenden Weltmeister-Toren führten. Vergleichsweise langweilig: der Elfmeter von Andreas Brehme 1990. Da zeigt auf dem Klopapier ein Pfeil in die linke Ecke des Tores. Ende der Geschichte. Aber so war das damals: rennen, kämpfen, austeilen, selbst auf die Socken bekommen, Elfmeter reindreschen, Tor. Fertig. Bier. Olé, olé. Also, grob vereinfacht.

Pressen, gegenpressen – atmen nicht vergessen

Doch Fußball ist längst zu komplex, als dass man das auf damals, ein anständig gekühltes Bierfass, eine „Schlaannd!“-Tröte oder einen Autocorso herunterrechnen könnte. Wer lediglich eine Siegerparty plant, verkennt die Anstrengungen und den Fußball im Vorfeld. Dieser Sport wurde längst vermessen – vertikal, horizontal, in Zonen auf dem Spielfeld, mannorientiert, raumorientiert, verschieben, pressen, gegenpressen und bitte das Atmen und die Raute nicht vergessen. Das haben sich Typen wie Johan Cruyff, Marcelo Bielsa, Pep Guardiola oder José Mourinho ausgedacht. Die interessierten sich überhaupt nicht für Bier. Generationen von Trainern haben versucht, dieses Spiel zu verstehen, sei es, um zu gewinnen oder um herauszufinden, weshalb die anderen gewonnen haben. Das passt auf kein Toilettenpapier. Mögen da draußen noch so große, Verzeihung, Ärsche herumspazieren, denen nichts zu dumm ist, wenn’s um die Sündenbocksuche geht.

Taktisch stehen wir in Deutschland eh vor einem Problem: Von den circa 80 Millionen Bundestrainern, die uns vor vier Jahren zum Weltmeistertitel führten, sind viele mittlerweile hauptberuflich als Migrations-, Gesangs- oder Außenpolitik-Experten tätig. Die traurige Wahrheit: Uns sind Millionen von Taktikern abhandengekommen. Titelverteidigung: schwierig.

Experten sind auch nur Menschen

Am ergreifendsten ist Fußball natürlich, funktioniert er bar von Logik oder Vernunft – bei Kroos in der 95. Minute oder bei dramatischen Aussetzern wie der Frisur von Neymar beispielsweise. Experten wie Lothar Matthäus haben das leider missverstanden. Denn Vernunft und Logik können nur abgeschaltet werden, wenn sie irgendwann mal angeknipst wurden. Doch Fußballexperten sind manchmal eben auch nur Menschen, die in der 8. Spielminute nur noch eine Flasche vom Sixpack im Kühlschrank haben. Hoffentlich ist wenigstens genügend Klopapier da.