Die Brasilianer sorgen sich um vieles, aber nur wenig um die Umwelt.

Rio de Janeiro - Manchmal gehe ich zum Mittagessen in die „Bar Joia“ im alten Zentrum von Rio. Da wird solide gekocht, und man isst in recht schnurriger Atmosphäre. An der Wand illuminieren drei bunte Birnchen den Heiligen Georg beim Drachentöten, daneben räkeln sich ein paar Pinup-Girls, und dass Anhänger von Flamengo oder Fluminense hier nichts zu putzen haben, verrät schon das schwarzweiße Botafogo-T-Shirt des Chefs. Erstaunlicherweise steht eine Büste des Opernkomponisten Carlos Gomes auf dem Tresen. Aber sonst ist das Joia einer dieser entspannten, ganz normalen Orte Brasiliens.

 

Zerbricht sich hier jemand den Kopf über das Weltklima? Denkt hier jemand daran, dass in Rio gerade die größte Umweltschutz-Konferenz aller Zeiten stattfindet? Einer Umfrage zufolge nennen die Brasilianer den Umweltschutz an sechster Stelle, wenn man sie nach den dringendsten Problemen fragt, woraus die Umweltministerin schloss, die Brasilianer sorgten sich sehr um ihre Umwelt.

Umfrage hin, Umfrage her, ich habe meine Zweifel. Es mag ja sein, dass heutzutage viele Brasilianer die Gefährdung der Umwelt als abstraktes Problem ansehen. Aber dass sie deshalb ihr Verhalten änderten? In der Straße Marechal Floriano, gleich beim Joia, ist ein Elektrogeschäft neben dem anderen. Ich habe mal nachgefragt: Die billigste der Elektro-Duschen kostet umgerechnet 14,40 Euro. Diese üblen Stromfresser sind Standard in einem Land, in dem unentwegt die Sonne scheint. Oder die Plastiktüten: 900 Millionen geben die Geschäfte allein in Rio de Janeiro jährlich ihren Kunden mit. Wenn man „brauchichnich“ sagt, guckt einen jeder Kassiererin an, als wäre man plemplem. Und dass im Joia jemand über die Herkunft der lecker aussehenden Hähnchenschenkel nachgrübelt? Schwer vorzustellen.

Die Politiker reden natürlich schon von Umweltschutz. Viel sogar. Die Vokabel Nachhaltigkeit gehört heutzutage zum sprachlichen Standard ihrer Klasse, selbst die Lobby der Großfarmer führt sie beständig im Mund. Die riesigen Wasserkraftwerke im Amazonasbecken, der neue Atommeiler bei Rio de Janeiro, die hochproduktive Turbo-Landwirtschaft: Alles nachhaltig!

Wobei sich sicher viel zum Positiven hin verändert hat. Schönstes Beispiel ist der Amazonas-Urwald, von dem heutzutage deutlich weniger abgeholzt wird als noch vor ein paar Jahren.

Was in der öffentlichen Debatte so gut wie gar nicht vorkommt, ist Einsparung. Also der Beitrag zum Umweltschutz, den man als Einzelperson am einfachsten leisten kann. Bloß Konsumverzicht, nein, der ist in Brasilien gerade wirklich nicht angesagt. Die Brasilianer sind heilfroh, dass es ihnen endlich mal gut geht. Das wollen sie genießen – sollen doch die Politiker in Gottes Namen den Umweltschutz beschließen!