In Stuttgart lebt der totgesagte Zirkus mehrfach auf, worüber sich unser Kolumnist Uwe Bogen freut. Bis Weihnachten lockt eine Manege nach der anderen – mit und ohne Tierstreit. Im Friedrichsbau hat „Circus Circus“ am Freitagabend Premiere gefeiert.

Stadtleben/Stadtkultur: Uwe Bogen (ubo)

Stuttgart - Hereinspaziert in den Zirkus ohne Wildtiere! Ja, es geht doch. Das eckig gebaute Friedrichsbau Varieté fühlt rund. Vor dem Eingang steht ein kleines Zelt. Ganz zirkusmäßig erstrahlt das Theater auf dem Pragsattel für die Show „Circus, Circus“, die am Freitagabend mit Promis (dabei: TV-Moderatorin Tatjana Geßler, Pianist George Bailey, Designerin Lissi Fritzenschaft, Stadtrat Hans Pfeifer, Rennfahrer-Legende Hans Herrmann, MdB Stefan Kaufmann, der frühere Staatssekretär Matthias Kleinert) voller Poesie und zugleich turbulent gestartet ist. Die Hommage an die Freakshows der Jahrmärkte ist äußerst sehenswert! Traditionell gilt das Programm zu Weihnachten als das stärkste im Friedrichsbau. Regisseur Ralph Sun braucht keine Käfigtiere, um menschliche Kuriositäten mit zirzensischen Mitteln der Überraschung vorzuführen. „Im Zirkus ist alles Leben“, sagt er. Schon oft wurde der Zirkus totgesagt und ist doch, wie Stuttgart gleich an mehreren Orten erlebt, nicht kleinzukriegen.

 

Nacktprotest gegen Wildtiere im Zirkus

Wird Playmate Ramona Bernhard, die von sich sagt, ein Zirkusfan zu sein, noch mal nackt auf dem Schlossplatz in ein Käfig steigen? Tiger-Trainer Martin Lacey, gegen dessen Auftritt im Circus Krone die Krankenpflegerin ohne Kleidung, nur mit angemalter Haut, demonstriert hat, wechselt zwar das Zelt, aber nicht die Stadt.

Der 40-Jährige, der in Stuttgart 26 Raubkatzen bis zum 12. November bei Krone zu Kunststücken führt, aber nur, wie er sagt, wenn sie wollen, feiert am 7. Dezember erneut Premiere auf dem Cannstatter Wasen. Der Weltweihnachtszirkus hat zum 25. Geburtstag ebenfalls Laceys preisgekrönte Tigernummer engagiert. Wenn die Stadt Ernst macht mit dem Wildtierverbot, will der Tierlehrer, der nicht als Dompteur bezeichnet werden will, dagegen klagen.

„Ein Umdenken findet statt“

„Hut ab vor den Gemeinderäten“, sagt indes Ramona Bernhard. „Mein Protest war der richtige Denkanstoß“, findet sie – doch wiederholen will sie ihn nicht. Die heftige Debatte über Wildtiere im Zirkus, die ihr Entblättern in der City mitbefeuert hat, habe gezeigt, „dass ein Umdenken stattfindet“. Das größte Problem sei der Transport der Tiere von Stadt zu Stadt.

„Immer mehr Menschen wollen Artisten sehen und keine Tiere“, sagt sie. Von positiven Reaktionen bei ihrer Aktion mit Peta vorm Königsbau berichtet die Krankenpflegerin. Auch Gegner ihrer Auffassung seien gekommen. Zwei Vertreter der Pro-Zirkustiere-Initiative hätten ihr versichert, dass Löwe, Elefant und Co. im Zelt nicht schlecht behandelt werden. Erfreulich ist, wenn in dem verbittert geführten Streit die unterschiedlichen Parteien das Gespräch suchen.

Palazzo feiert Premiere am 9. November

Alles Zirkus in Stuttgart! Wer zirzensische Darbietungen liebt und zu kindlichem Staunen zurückfinden will, hat in Stuttgart eine Auswahl wie nie. Im Zirkus, der im Duden mit Z und K steht, den Künstler mit zweimal c als Circus buchstabieren, ist Gefahr wie im wahren Leben. Der Artist kann vom Seil fallen. Doch er wächst über sich hinaus und feiert zur Freude des Publikums den Sieg über das scheinbar Unmögliche.

Auch in der neuen Dinner-Show Palazzo, die am nächsten Donnerstag im Spiegelzelt auf dem Wasen startet, wird die Magie der alten Jahrmärkte gerühmt. Eine Verneigung vor der Blütezeit der Artistik soll’s werden. Das Programm „Kuriositäten“ ist zuletzt vor einem Jahr in Hamburg gespielt worden. Drei-Sterne-Koch Harald Wohlfahrt wird diesmal mehr Zeit in der Palazzo-Küche verbringen – in Baiersbronn hat er nach heftigem Streit seine Tätigkeit beendet.

Harry Owens auf Abschiedstour mit Salome

Und noch ein guter Bekannter von Stuttgart kommt: Harry Owens lässt das Zelt für sein Traumtheater Salome auf einem Gelände der BW-Bank beim Löwentor aufbauen. Am 27. November feiert er die Premiere der Show „Reise zu deinem Stern“, mit der sich der 73-Jährige als reisender Märchenerzähler für immer verabschiedet.

Applaus, Applaus!

Stuttgart wird zur Zeltstadt – zur Zirkusmetropole, die in hektischen Zeiten zum Träumen ermuntert. So schön ist das!

Applaus, Applaus! Nicht nur an digitalen Errungenschaften wollen sich die Menschen erfreuen. Viele genießen Live-Erlebnisse, sie wollen am Echten nah dran sein. Auch wenn der Stolz auf Tradition zelebriert wird, muss nicht alles immer beim Alten bleiben. Ein Zirkus darf sich weiterentwickeln. Wildtiere sind, wie mehr Menschen als früher finden, nicht mehr zeitgemäß – obwohl es ihnen im Zirkus besser geht als manchem Nutztier in der Massentierhaltung. Was Zweibeiner zeigen, ist spannend genug für wunderbare Unterhaltung. „Wildtiere braucht man dazu wirklich nicht“, meint Moderatorin Tatjana Geßler auf dem Pragsattel nach der stürmisch gefeierten Varieté-Premiere mit außergewöhnlichen Artisten. Im Friedrichsbau lässt sich bis Februar „Circus, Circus“ in Bestform erleben.