So sehen Sieger aus: Vinzenz Geiger und Nathalie Armbruster strahlen nach ihrem Erfolg beim Seefeld-Triple, mit dem sie die Grundlage für ihre Triumphe im Gesamtweltcup legten. Foto: Imago// David Geieregger
Nathalie Armbruster und Vinzenz Geiger haben den Gesamtweltcup in der Nordischen Kombination gewonnen, nun zittern beide um die Zukunft ihrer Sportart – denn bei den Olympischen Winterspielen 2026 dürfen nur die Männer starten. Was danach passiert, ist offen.
Jochen Klingovsky und Thomas Weiß
02.04.2025 - 16:00 Uhr
Zwei Wintersport-Stars bangen um die Zukunft der Nordischen Kombination. Nathalie Armbruster und Vinzenz Geiger würden gerne gemeinsam um Olympia-Medaillen kämpfen, doch die Frauen sind bei den Winterspielen 2026 nicht zugelassen. 2030 sind entweder Frauen und Männer dabei – oder beide draußen. „Das wäre“, sagt Armbruster, „das Ende unserer Sportart.“
Frau Armbruster, Sie stecken gerade mitten in den Abitur-Vorbereitungen. Wie groß ist der Stress?
Nathalie Armbruster: Ich gehe in Freudenstadt auf ein ganz normales Gymnasium, war aber fast ein halbes Jahr nicht in der Schule. Deshalb gibt es ganz schön viel nachzuholen. Allein in der letzten Woche hatte ich fünf Klausuren und Tests, dazu kam eine Volleyball-Prüfung. Das ist schon enorm stressig.
Klappt alles?
Nathalie Armbruster: Angesichts meiner Fehlzeiten läuft es ganz gut, auch wenn es durch den Anspruch, den ich an mich selbst habe, nicht einfacher wird. Der Ehrgeiz, den ich auch im Sport habe, lässt mich nicht los.
Sie beide haben erstmals den Gesamtweltcup gewonnen. Viele Athleten sagen, diese Kristallkugel würde mehr zählen als eine Medaille bei einem Großereignis. Empfinden Sie ebenso?
Vinzenz Geiger: Sportlich ist der Sieg im Gesamtweltcup die größte Leistung und die ehrlichere Auszeichnung. Doch medial gesehen – und für mich auch persönlich – sind WM- oder Olympia-Gold das extremere Erlebnis. Nathalie Armbruster: Für den Gesamtweltcup zählt nicht nur ein Tag, man braucht große Konstanz. Bei mir lief die WM in Trondheim nicht optimal, ich kam mit der Schanze nicht zurecht. Umso bedeutsamer war es, die große Kristallkugel zu holen – damit hatte ich nie gerechnet. Letztlich ist diese Auszeichnung mehr wert als ein WM-Podestplatz.
Warum sind Sie eher pessimistisch in die Saison gegangen?
Nathalie Armbruster: Es war wie ein Mechanismus, der mich vor den eigenen Ansprüchen schützt – mit Schule, Training und Wettkämpfen führe ich auch so schon ein Leben am Limit.
Herr Geiger, was zeichnet die Kombiniererin Nathalie Armbruster aus?
Vinzenz Geiger: Sie ist eine sehr, sehr ehrgeizige Athletin, die über einen extremen Biss und eine große Dynamik beim Laufen verfügt. Zudem hat sie sich im Springen von Jahr zu Jahr weiterentwickelt.
Und umgekehrt?
Nathalie Armbruster: Die Laufleistungen vom Vinz sind unglaublich beeindruckend. Natürlich hat auch er großen Biss und Ehrgeiz. Dazu kommt, dass er weiß, was er kann – und das macht er zu seiner Stärke.
Lassen Sie uns nach vorne blicken. In gut zehn Monaten beginnen die Olympischen Spiele. Vinzenz Geiger wird am Start stehen, Sie nicht. Wie bitter ist es, die einzige olympische Wintersportart zu betreiben, in der es keine Gleichberechtigung gibt?
Nathalie Armbruster (seufzt tief): Es ist sehr, sehr bitter. Und es wird unglaublich hart sein, vor dem Fernseher zu sitzen. Ich konnte nicht ahnen, dass ich ein Jahr vor den Winterspielen so gut dastehen würde, in der Vergangenheit habe ich mir das Szenario immer noch irgendwie schönreden können. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Olympia ist für mich ein Kindheitstraum, der sich bisher nicht erfüllen lässt, und gleichzeitig geht es nicht nur um mich, sondern um die Zukunft einer ganzen Sportart.
Noch in diesem Jahr soll die Entscheidung über das Olympia-Programm 2030 fallen, es gibt zwei Optionen: Entweder die Kombiniererinnen stoßen dazu – oder die Männer werden ebenfalls gestrichen.
Nathalie Armbruster: Richtig. Wenn wir Frauen nicht ins Programm kommen, ist es in Sachen Olympia für uns alle vorbei – aus unerklärlichen Gründen. Und dann sehe ich sehr schnell das Ende unserer Sportart kommen. Denn es würde schon bald keine Förderung und keine Weltcups mehr geben.
Ist mit den Athletinnen und Athleten über die Hintergründe gesprochen oder diskutiert worden?
Nathalie Armbruster: Es wurde versucht zu argumentieren – aber mit sehr, sehr schwachen Argumenten, die absolut nicht nachvollziehbar sind. Es hieß, es gebe zu wenig Starter aus zu wenigen Ländern und zu wenige siegfähige Nationen. Das ist leicht zu widerlegen: Bei den letzten beiden Weltmeisterschaften standen Athletinnen aus drei verschiedenen Nationen auf dem Podium. Und wenn es darum geht, dass immer dieselben Leute gewinnen, dann müsste man Biathlon, um ein Beispiel zu nennen, auch abschaffen.
2023 bei der WM in Planica haben Sie beide bei der Eröffnungsfeier gemeinsam die deutsche Fahne getragen – und damit für die Zukunft Ihrer Sportart demonstriert. Hat diese Aktion etwas bewirkt?
Vinzenz Geiger: Reaktionen vom Ski-Weltverband oder dem Internationalen Olympischen Komitee gab es nicht – aber medial hat es die Aufmerksamkeit auf das Problem gelenkt.
Wie sehr fürchten Sie um die Perspektive der Kombination?
Vinzenz Geiger: Ich bin grundsätzlich Optimist. Aber als die Nachricht kam, dass die Frauen nicht ins Programm für 2026 aufgenommen werden und man Gleichberechtigung auch herstellen kann, indem man die Männer rauswirft, war ich schon schockiert über die Denkweise. Seither habe ich mich immer deutlich geäußert, von der gesamten Ski-Familie aber ist sicher zu wenig passiert.
Was macht Sie trotzdem optimistisch?
Vinzenz Geiger: In der vergangenen Saison gab es bei uns unglaublich spannende Rennen, das war beste Werbung für unseren Sport. Mehr konnten wir nicht tun. Sollten wir dennoch rausfliegen, würde dies klar zeigen, dass für das IOC Tradition nicht wichtig ist. Fast alle Punkte, die gegen uns sprechen, sind widerlegt, es bliebe als Argument nur, dass unsere Sportart zu wenig Geld einbringt. Und dann wäre ja offensichtlich, was für das IOC vor allem zählt.
Vinzenz Geiger mit der großen Kristallkugel /Imago/Julia Piatkowska
Haben Sie sich schon die Telefonnummer der neuen IOC-Präsidentin Kirsty Coventry besorgt, um noch einmal Werbung für die Kombination zu machen?
Nathalie Armbruster: Wir werden sicher versuchen, über die sozialen Medien und in jedem Interview darauf aufmerksam zu machen, wie viel auf dem Spiel steht. Und wenn mir jemand die Telefonnummer gibt, würde ich Frau Coventry auch anrufen.
Um ihr was zu sagen?
Nathalie Armbruster: Ich würde an ihre Empathie appellieren und sie fragen, in welchem Jahrhundert wir denn leben und warum es für Kombiniererinnen bei den Olympischen Spielen keine Gleichberechtigung gibt. Und dann würde ich sie fragen, ob sie eigentlich jemals einen Wettkampf in der Kombination erlebt hat.
Was macht Ihre Sportart aus?
Nathalie Armbruster: Die Tradition, die Spannung, die Vielfalt mit der Schnellkraft-Disziplin Skispringen und der Ausdauer-Disziplin Langlauf, was das Training wahnsinnig herausfordernd macht. Ich würde jedem empfehlen, sich diese faszinierende Sportart anzuschauen.
Wenn sich das IOC gegen die Aufnahme der Kombination für die Spiele 2030 entscheidet, würden Sie dann aufhören?
Nathalie Armbruster: Natürlich ist Olympia das Größte, was man als Sportler erreichen kann. Trotzdem würde ich meine Karriere, solange es finanziell möglich ist, fortsetzen. Die Kombination ist meine Leidenschaft, ich liebe diesen Sport und würde ihn gegen keinen anderen eintauschen wollen. Vinzenz Geiger: Für mich persönlich wäre es nicht ganz so tragisch, ich hatte in dem Sport, den ich liebe, viele erfolgreiche Jahre, es war die beste Zeit meines Lebens. Aber natürlich würde mir das Herz bluten, wenn man unsere Sportart einfach so abschafft.
Wenn die Kombination olympisch bleibt, sind Sie dann 2030 noch dabei?
Vinzenz Geiger: So weit plane ich nicht. Wichtig ist der nächste Winter, danach schaue ich, was kommt.
Zwei deutsche Stars in der Nordischen Kombination
Weltcup-Gesamtsiegerin Nathalie Armbruster (18) aus Freudenstadt-Kniebis gewann bisher drei WM-Silbermedaillen (2x Planica 2023, 1x Trondheim 2025). Als erste deutsche Kombiniererin triumphierte sie 2025 in Seefeld in einem Weltcup-Wettbewerb. Am Ende der Saison sicherte sich die Abiturientin zudem Rang eins im Gesamtweltcup.
Weltcup-Gesamtsieger Vinzenz Geiger (27) ist Doppel-Olympiasieger, Gold gab es 2018 in Pyeongchang mit dem Team und 2022 in Peking im Einzel. 2025 wurde er mit einem Team, das aus vier Oberstdorfern bestand, in Trondheim erstmals Weltmeister. Insgesamt hat er bei Großereignissen elf Medaillen geholt. 2025 gewann er nach sieben Saison-Siegen den Gesamtweltcup.