Bisher ist der Komet mit dem langen Namen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko nur ein Punkt im Sternenmeer. Doch Astrophysiker haben ihn nun im Visier und wollen bei einer Landung klären, ob mit den Kometen das Leben auf die Erde kam.

Stuttgart - Es kommt nicht häufig vor, dass ein umherfliegendes Atom in den Weiten des Weltalls auf ein Staubkorn trifft und hängen bleibt. In der Einöde zwischen den Sternen kreuzen sich die Flugbahnen der wenigen Teilchen praktisch nie. Doch Zeit spielt keine Rolle, das Atom kann warten. Irgendwann wird ein zweites Atom eintreffen und dann werden sie chemisch reagieren. Mit der Zeit können so komplexe Moleküle entstehen – sogar solche, die man nur auf der Erde vermuten würde: Aminosäuren zum Beispiel, aus denen sich die Proteine zusammensetzen.

 

Deshalb meint es Berndt Feuerbacher ernst, wenn er sagt, das Leben könnte aus dem All auf die Erde gekommen sein. Kometen hätten die chemischen Bausteine dafür mitbringen können. Sie stammen aus entfernten Regionen, und viele von ihnen sind vor vier Milliarden Jahren auf die junge Erde gestürzt. Nun will Feuerbacher, obwohl schon im Ruhestand, klären, was an dieser Theorie dran ist. Er hat einen 100 Kilogramm schweren, würfelförmigen Roboter entwickelt, der am 11. November auf dem Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko landen soll. Der Roboter mit dem Namen Philae hat einen Bohrer an Bord und wird Bodenproben analysieren.

Keine schmutzigen Eisbälle, sondern eisige Schmutzbälle

Das, was Philae finden wird, bezeichnen Astrophysiker wie Feuerbacher als tiefgefrorenen Dreck, weil sie es nicht genauer wissen. Sie haben erst fünf Kometen aus der Nähe untersucht: Halley, Borrelly, Tempel 1, Wild 2 und Hartley 2 (in vier Missionen – siehe 3. Seite). Im Schweif von Wild 2 haben sie die Aminosäure Glycin nachgewiesen, doch das ist noch zu wenig für die Theorie des außerirdischen Ursprungs allen Lebens. Klar ist bloß, dass Tschurjumow-Gerassimenko – oder Tschuri, wie er genannt wird – so jungfräulich ist, wie man es sich in der Astrophysik nur wünschen kann. Er ist wie die Erde vor 4,6 Milliarden Jahren entstanden und umkreiste die Sonne stets in sicherem Abstand. Er dürfte sich daher in der ganzen Zeit kaum verändert haben und müsste einen Einblick in die Anfänge des Sonnensystems bieten: Hätte sich aus den Substanzen, die er mit sich führt, Leben entwickeln können?

Erst im Jahr 1840 und noch einmal im Februar 1959, so hat man es später rekonstruiert, muss der Planet Jupiter den Kometen mit seiner großen Schwerkraft auf neue Bahnen gelenkt haben. Inzwischen ist Tschuri der Sonne schon acht Mal so nahe gekommen, dass sein Eis verdampfte und ihre Strahlung Staubteilchen mitriss. Aus diesen Teilchen entstehen erst eine undurchsichtige leuchtende Hülle und dann der für Kometen charakteristische Schweif. Pro Sekunde verliert Tschuri dadurch einige Dutzend Kilogramm und wird in jeder Runde einen Meter kleiner. Aber im Vergleich zu den Asteroiden ist das nichts: Diesen Brocken hat die Sonne über die Jahrmilliarden so zugesetzt, dass Feuerbacher sie als „ausgebrannt“ beschreibt.

Der Landeroboter ist auf einen anderen Kometen eingestellt

Im Unterschied zur Nasa, die vor einigen Jahren bei ihrer Mission „Deep Impact“ ein Projektil auf dem Kometen Tempel 1 einschlagen ließ, um die aufgewirbelte Staubwolke zu analysieren, wird die Europäische Raumfahrtagentur (Esa) versuchen, weich auf dem Kometen zu landen (eine Grafik zum Missionsverlauf finden Sie hier). Das sei im Grunde auch nicht so schwer, sagt Feuerbacher, denn wegen der geringen Schwerkraft wiegt der Roboter Philae auf Tschuri nur 50 Gramm. Er wird 80 Minuten lang herabschweben; dass er am Kometen zerschellt, ist unwahrscheinlich. „Das Problem ist vielmehr, dort zu bleiben“, sagt Feuerbacher. Mit Harpunen und Schrauben wird sich Philae im Untergrund verankern müssen; die Mechanismen sind auf hartem und weichem, ebenem und schiefem Boden getestet worden.

Aus Feuerbachers Sicht ist die Schwerkraft dennoch zu groß, denn Philae ist für einen kleineren Kometen konstruiert worden: für Wirtanen, der nur einen Kilometer misst. Doch kurz vor dem Start von Philae und seinem Mutterschiff Rosetta explodierte eine Ariane-Rakete, und alle folgenden Missionen wurden verschoben. Nach dem verspäteten Start war Wirtanen nicht mehr zu erreichen. Die Esa hatte sich inzwischen für den fünf Kilometer großen Tschuri entschieden.

Feuerbacher durfte aber an seinem Landeroboter nichts mehr verändern, denn der war schon in die Spitze einer Ariane-Rakete eingebaut und wartete startbereit im Hangar. So ist Philae nun mit einer vorgespannten Feder unterwegs, die auf die Schwerkraft von Wirtanen eingestellt ist. Die Feder ist nur die Notlösung, falls der eigentlich vorgesehene Mechanismus, mit dem sich Philae vom Mutterschiff abstoßen soll – eine elektrisch herausgedrehte Schraube – versagt, aber Feuerbacher sieht ein „echtes Problem“. Im Kontrollzentrum der Esa in Darmstadt wird man einen günstigen Orbit um Tschuri suchen müssen, von dem aus Philae zur Landung ansetzen kann.

Der Komet wird früher aktiv als gedacht

In den Wochen vor der Landung wird Rosetta den Kometen aus der Nähe fotografieren, damit sich Feuerbacher und seine Kollegen einen Landeplatz auswählen können. Er muss rund 800 Meter groß sein. Zurzeit kennt man Tschuri bloß als verschwommenen Fleck. In den Bildern des Weltraumteleskops Hubble ist seine längliche Form, die an einen Football erinnert, auch nur zu erahnen. Ein Spektakel am Himmel ist nicht zu erwarten: Selbst wenn Tschuri seinen Schweif ausbildet, werden Hobbyastronomen ein Teleskop benötigen, um ihn zu sehen.

Ein aktuelles Foto der Europäischen Südsternwarte (siehe Bildergalerie) zeigt ebenfalls nur einen schwachen Punkt. Aber der sei überraschend hell, heißt es beim Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. Seit der letzten Aufnahme vom Oktober sei der Komet um 50 Prozent heller geworden – ein Zeichen dafür, dass er schon früh damit beginnt, den Schweif zu bilden.

Bei Landungen auf dem Mond oder auf dem Mars ahnen die Forscher, was sie erwartet. Die Mission von Rosetta und Philae ist hingegen eine Expedition in eine unbekannte Welt.

Sichtung des Kometen Tschuri

Leuchtkraft
Wenn sich Kometen der Sonne nähern, verdampft ein Teil von ihnen und bildet den viele Millionen Kilometer langen, leuchtenden Schweif. Ansonsten sind die nur wenige Kilometer großen Brocken schwer zu entdecken, denn sie sind schwarz wie Kohle.

Sichtung
Um den Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko aus einer Entfernung von 740 Millionen Kilometern zu sichten, haben Astronomen der Europäischen Südsternwarte dieser Tage mehrere Aufnahmen übereinandergelegt und das Licht der Sterne im Hintergrund herausgerechnet. Übrig blieb ein schwacher Punkt (siehe Bildergalerie).

Hobbyastronomen
Im August 2015 wird der Komet Tschuri der Sonne am nächsten kommen. Hobbyastronomen können ihn dann mit Teleskopen in der Abenddämmerung tief am Horizont entdecken. Auf diese Beobachtungen sei die Forschung angewiesen, heißt es beim Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, denn große professionelle Teleskope könnten nicht so tief blicken.

Die vier bisherigen Kometenmissionen

1. Mission: Halley’scher Komet
Wenige Sekunden vor dem Höhepunkt der Mission setzt die Kamera aus – ein Volltreffer hat sie zerstört. Das Geschoss ist nur ein Staubkorn, aber es flog mit einer Geschwindigkeit von einigen Zehntausend Stundenkilometern. Dennoch haben die Forscher der Esa einen ersten Eindruck von einem Kometenkern erhalten, als die Sonde Giotto am 14. März 1986 in nur 200 Kilometer Entfernung am 15 Kilometer großen Halley’schen Kometen vorbeiflog (hier ein Video der Annäherung).

2. Mission: Komet Borrelly
Auf die Giotto-Mission folgt eine lange Pause. Erst im September 2001 funkt die Nasa-Sonde Deep Space 1 ein Foto des Kometen Borrelly zur Erde. Doch die Mission dient in erster Linie dazu, neue Technologien zu testen – unter anderem einen Ionenantrieb für das Raumschiff. Borrelly ist halb so groß wie Halley, nur acht Kilometer lang, und rabenschwarz. Erst in den folgenden Jahren wird die Kometenforschung wieder Fahrt aufnehmen – durch zwei weitere US-amerikanische Missionen, die auf Tuchfühlung mit einem Kometen gehen.

3. Mission: Komet Wild 2
Zweimal fliegt die Nasa-Sonde Stardust durch den Schweif des Kometen Wild 2. Die Partikel – zusammengenommen nicht einmal ein Milligramm – landen später auf der Erde und werden analysiert. Forscher entdecken darin Glycin, einen Bestandteil von vielen Proteinen im menschlichen Körper. Die Nahaufnahme des Kometen, entstanden am 2. Januar 2004, zeigt, dass bei diesem Kometen das Material für den Schweif an vielen Stellen durch die Oberfläche bricht und ins All schießt. Ob die Krater Einschlagskrater sind, ist offen.

4. Mission: Komet Tempel 1
Am 4. Juli 2005, dem amerikanischen Freiheitstag, schlägt ein 370 Kilogramm schweres Projektil aus Kupfer auf dem Kometen Tempel ein. Das Mutterschiff der Mission Deep Impact verfolgt das Geschehen (hier ein Video des Geschehens). Das Bild entsteht eine Minute nach dem Einschlag und zeigt einen zweiten Blitz, bei dem Kometenmaterial ins All spritzt. Im ersten Blitz ist das Projektil verglüht. Später fliegt das Raumschiff am Kometen Hartley 2 vorbei.