Sie sind Elitesoldaten. Belastbar, verschwiegen und umstritten. Ein Tag mit dem Kommando Spezialkräfte, die in Calw stationiert sind.

Reportage: Robin Szuttor (szu)

Stuttgart - Ein Batikhimmel aus schwarzen Wolken auf fettem Rosa leuchtet über dem Stuttgarter US-Airfield. Es sieht nach Flugwetter aus, als der Tross frühmorgens die Sperre passiert. Vier mattgrüne Busse und Lastwagen mit Bundeswehrkennzeichen steuern zielsicher über das weitläufige Gelände zu einem Hangar. Männer in Tarnanzügen steigen aus, ihre Rucksäcke geschultert: die Härtesten der Harten.

"Stillgestanden!", hallt es. Ein Ruck und das Stampfen von fünfzig Stiefelpaaren geht durch die Reihe der Soldaten. "Ich grüße Sie. Wir führen heute einen Gefechtssprung durch. Der Zeitansatz ist von 9.30 bis 12 Uhr und von 13.30 bis 16 Uhr." Dann donnert, laut wie ein startender Tornado-Kampfjet, der Schlachtruf durch die kalte Halle: "Glück ab! Glück ab! Glück ab!" Rühren.

Es wird noch dauern, bis die Männer vom Kommando Spezialkräfte in die Luft können. Die Transall aus den Siebzigern steht im bayerischen Fliegerhorst Penzing und kann nicht starten. Zu viel Nebel für das alte Flugzeug. Ein Tisch mit Bounty, Snickers und einem Kässchen wird aufgebaut. Es gibt Kaffee. Die Fallschirme liegen auf dem Boden, akkurat in Dreierreihen. Die Soldaten sitzen daneben. Warten ist eine der leichtesten Übungen für Kommandokämpfer.

 

Nichts soll nach außen dringen

Das Kommando Spezialkräfte, kurz KSK, ist eine Einheit für die ganz heiklen Missionen. Stationiert in Calw. Ausgebildet für Operationen im Feindesland. Verschwiegen wie keine andere Bundeswehrtruppe. Nichts, was das Kommando tut, soll nach außen dringen. Es gibt keine Zahlen über Erfolge oder Verluste, geschweige denn über Details von Kampfeinsätzen. Namen dürfen nicht veröffentlicht werden, kein Foto darf erscheinen, auf dem das Gesicht eines Kommandosoldaten zu erkennen ist.

Die Gründung des KSK geht auf einen Vorfall im Jahr 1994 zurück. Während des Völkermordes in Ruanda mussten deutsche Staatsbürger von der belgischen Para-Commando-Brigade, einer Sondereinheit, evakuiert werden. Die Bundesregierung hatte ein eigenes Eingreifen abgelehnt, weil die Bundeswehr über keine Spezialeinheit für solch diffizile Fälle verfügte. Einige Nato-Verbündete nahmen die Zurückhaltung mit Befremden zur Kenntnis.

Dass es das KSK heute gibt, hat auch mit der Suche Deutschlands nach einer neuen Rolle in der Weltpolitik zu tun. Und vielleicht auch mit der künftigen Ausrichtung der Armee: von der Verteidigungstruppe hin zu hochspezialisierten Interventionsverbänden. Beim ersten Einsatz 1998 nahm das KSK Kriegsverbrecher auf dem Balkan fest, seit 2001 macht das Kommando neben Spezialeinheiten der Briten und Amerikaner in Nordafghanistan Jagd auf Talibanführer.

KSK-Soldaten lernen, Menschen mit einem Griff auszuschalten oder zu töten. Sie lernen, sich in norwegischen Schneestürmen zu orientieren. Sie setzen sich im guyanischen Dschungel mit allerlei Getier auseinander, üben Sturmangriffe auf Züge, Geiselbefreiungen auf Schiffen, den Kampf in alpiner Höhenluft und texanischer Wüstenhitze. Sie treffen mit ihren Gewehren einen Pappkrieger auf 1200 Meter Entfernung.

An diesem Morgen machen sie gar nichts. Nebel über Penzing. Um 9 Uhr wird der Start verschoben. Die Männer legen sich auf ihre Rucksäcke, "Bild"-Zeitungen machen die Runde. Der Run auf Bounty und Snickers ist abgeebbt, die Verpflegungssoldaten sitzen am Verkaufstisch. Eine meditative Stimmung macht sich breit.

Eigentlich sind die Männer hier, um Fallschirmsprünge aus Höhen zu üben, wo "keine Radarkeule" sie streift. "Wir können bis 120 Meter über Grund runter", sagt der Ausbilder Kalle, 51 Jahre, klein, schneidig, Schnauzer. Aber auch hoch hinauf: in den USA oder Spanien lassen sich Kalle und seine Männer aus 10.000 Meter bei minus 50 Grad, mit Navigations-, Sauerstoff- und Nachtsichtgeräten ins schwarze Nichts fallen, gleiten bis zu 60 Kilometer ins Feindgebiet. Infiltrieren, wie es beim Militär heißt. Als 2004 ein KSK-Soldat bei einer Fallschirmübung starb, wurde am nächsten Tag weitertrainiert. Übung unter realen Bedingungen, wie es hier heißt.

Waffengebrauch soll so automatisiert werden wie das Autofahren

 

Auch 15 Jahre nach der Gründung ist die Sollstärke an Kommandokämpfern, man geht von etwa 500 Mann aus, nicht erreicht. An Bewerbern mangelt es nicht, nur halten die wenigsten durch. Die Ausbildung sei das härteste, was man Menschen in einer Demokratie zumuten könne, sagte ein früherer KSK-Kommandeur. Für die allermeisten ist schon beim Eingangstest Endstation. Genauer: bei der "Höllenwoche" .

Seite 2: In Calw wird Häuserkampf traininert

"Höllenwoche", das heißt 180 Kilometer Marsch in fünf Tagen, volle Montur plus Extralasten auf dem Buckel, immer wieder Sonderaufgaben, permanenter Schlafmangel, äußerst spärliche Verpflegung. Ein Arzt und ein Psychologe sind ständig dabei. Manche werden aggressiv, wenn sie an ihre Grenzen kommen - und da kommt jeder hin. "Wer die Nerven verliert, scheidet sofort aus, ohne Diskussion", sagt der KSK-Presseoffizier Cornelius von Lepel. In Extremsituationen muss ein Kommandosoldat cool bleiben. Und im Bruchteil einer Sekunde erkennen: Wer ist Feind, wer Freund? "Intuitives Schießen", nennt es Cornelius von Lepel. Der Waffengebrauch soll so automatisiert werden wie beim Normalbürger das Autofahren.

In der Calwer Zeppelinkaserne steht eine der modernsten Schießanlagen überhaupt. Hier wird Häuserkampf trainiert, zur Stresssteigerung begleitet von panischem Geschrei aus Lautsprechern. Mit Puppen, die bei Wirkungstreffern zusammensacken wie Menschen. Der Grundriss jeder deutschen Botschaft weltweit kann hier nachgestellt werden. Bei Übungen anderer Bundeswehrverbände darf aus Sicherheitsgründen im 60-Grad-Winkel um den Gewehrlauf niemand im Schussfeld stehen. Bei der KSK: vier Grad. Um diese Präzision aufrechtzuerhalten, muss ständig trainiert werden. Nur über diesem Übungstag liegt eine große Ruhe.

Nebel über Penzing. 10.30 Uhr. Der Start wird verschoben. Die Soldaten legen sich wieder zurück auf ihre Rucksäcke oder unterhalten sich dezent, ein paar rauchen draußen auf der Laderampe. Sie sind zwischen Mitte zwanzig und Ende dreißig. Große Schlanke, kleine Drahtige, fast keine Muskelprotze. Manche sind schon leicht ergraut, manche tragen Bart, manche einen Ehering, alle tragen imposante Uhren.

Wenn einer eine Frau kennenlernt, stellt er sich als Zeitsoldat vor

 

Josef ist 31 Jahre, hat stahlblaue Augen, blonde kurze Locken und nicht gerade die Figur eines Topathleten. Als er sich nach dem Abitur zunächst für zwei Jahre bei der Bundeswehr verpflichtete, nahm er gleich die KSK-Broschüre mit. "Das war immer mein Traum", sagt er. Er wurde wahr. "Früher dachte ich, das müssen alles Supermänner sein, aber das ist nicht so." Bei der Höllenwoche seien viele ausgestiegen, die körperlich viel mehr draufhatten als er. "Bei denen hat aber der Kopf blockiert."

Bei ihm blockiert nichts. Auch nicht, wenn er nach einem Tagesmarsch völlig entkräftet sein Quartier aufschlagen will, dann aber erst noch eine Brücke bauen soll. Oder wenn sich nach einer Stunde süßen Schlafes wieder irgendwelche marodierenden Partisanen nähern. "Das Adrenalin macht einen schnell wach." Warum das alles? Patriotismus spiele schon eine Rolle, sagt Josef, aber auch die Abenteuerlust.

Seite 3: "Bei denen hat der Kopf blockiert"

Er geht noch in diesem Jahr nach Afghanistan. Sein erster Einsatz. Zuvor hat er eine To-do-Liste bekommen. Er sollte zum Beispiel noch sein Testament machen. Und sich auch schon mal überlegen, wie er beigesetzt werden will. "Ich muss erst noch alles ausfüllen", sagt Josef. Natürlich denke er an den Tod und daran, vielleicht töten zu müssen. Auch könne man die Angst nie ganz ausschalten. "Aber im scharfen Einsatz musst du sie kontrollieren, sonst wirst du von ihr gelähmt." Das hat er gelernt.

Außerhalb der Kaserne weiß niemand, was er beruflich macht. Nur seine Eltern. Genaues darf er ihnen nicht sagen. Und sie dürfen auch mit keinem reden. Wenn er eine Frau kennenlernt, stellt er sich als Zeitsoldat vor, der Rest ist Schweigen. "Es gibt Sicherheitschecks. Wer in seinem Umfeld damit prahlt, beim KSK zu sein, ist gleich draußen", sagt Josef. Bei ihm sei da keine Gefahr. "Ich mache das für mich, ich stehe ungern im Vordergrund." Fast alle Kameraden seien so gestrickt: extrem ehrgeizig, was die eigene Leistung angeht, eher introvertiert und kontrolliert. "Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich mich im Privaten jemals heftig aufgeregt hätte." Mit dem Privatleben sei das ohnehin eine schwierige Sache, weil das KSK viel von einem fordere. Auch wegen der Geheimhaltungspflicht seien Freundschaften mit Zivilisten selten, sagt Josef. Eine eingeschworene Truppe. Und eine geduldige.

Auch bei einem Verhör muss der Auftrag immer geheim bleiben

Nebel über Penzing. 11.30 Uhr. Der Start wird verschoben. "Wir bleiben Stand-by bis 14 Uhr, dann fällt die Entscheidung." Bänke werden aufgestellt, Schmetterlingsnudeln mit Kalbsstreifen in Plastikteller geschöpft. Dazu gibt es Muffins.

Beim Überlebenstraining während der Ausbildung ist der Speiseplan ursprünglicher. Die Aufgabe: sich zehn Tage allein durch den Wald schlagen. Zu Beginn gibt es einen Hasen oder ein Huhn. Die muss man ausnehmen und am besten gleich so zubereiten, dass man eine Weile davon zu naschen hat. Später wird gegessen, was der Wald hergibt. "Wer sich nachts aus Mülleimern von Supermärkten bedient, fliegt gleich durch", sagt Markus, 28 Jahre, 1,85 Meter groß, schlank. Mit flottem Anzug und schicken Business-Slippern ginge er auch als Trainee bei Daimler durch.

Seite 4: Manchen ist das KSK zu geheim

Am Ende des Überlebenstrainings hatte Markus zehn Kilo abgenommen und war reichlich lädiert. "Tagelang mit nassen Socken unterwegs, das ist unangenehm", sagt er. Irgendwann wurde er dann auch noch entführt, in einen Betonbunker verschleppt, 30 Stunden gefangen gehalten und immer wieder verhört. "Erst im Guten, dann richtig mit Druck." Fünf Dinge durfte er preisgeben: Name, Religion, Einheit, Dienstgrad und Geburtsdatum. Der Auftrag musste geheim bleiben.

Für manche handelt das KSK etwas zu geheim. Bereits 2008 stellte der Verteidigungsausschuss fest, dass die Bundesregierung das Parlament nicht ausreichend über KSK-Einsätze informiere. Insbesondere nach der Bombardierung zweier Tanklastzüge in Kundus 2010, in die wohl auch das KSK involviert war, wurden Bedenken laut, dass selbst der Politik verborgen bleibe, was die Kommandogruppen in Nordafghanistan wirklich treiben. Die KSK leite und kontrolliere sich im Grunde selbst, so die Vorwürfe. Von einer Parlamentsarmee könne da keiner mehr sprechen.

Auch im Fall Murat Kurnaz stand die Eliteeinheit im Kreuzfeuer

Auch im Fall Murat Kurnaz stand die Eliteeinheit im Kreuzfeuer. Der in Deutschland geborene Türke wirft zwei KSK-Soldaten vor, sie hätten ihn in Kandahar misshandelt und gefoltert. Kurnaz war 2002 in Pakistan festgenommen, über das US-Lager Kandahar nach Guantánamo verschleppt worden und erst nach vier Jahren wieder freigekommen. Der Untersuchungsausschuss stellte das Verfahren mangels Beweisen ein. Bis heute steht Aussage gegen Aussage.

"Der Vorwurf, wir operierten jenseits demokratischer Legitimation, ist Unsinn", sagt Cornelius von Lepel. Nur bei akuter Bedrohung gebe es ein sogenanntes verkürztes Notfallverfahren. "Dabei wird unser Einsatz vom Verteidigungsminister und unter Beteiligung der Obleute in den Fachausschüssen befohlen - aber im Nachhinein immer auf regulärem Wege mandatiert." Nach jedem Einsatz erstatte man außerdem minutiös Bericht an das Ministerium.

14 Uhr. Nebel über Penzing. Es wird nichts mehr mit dem Start an diesem Tag. Der Hauptmann bricht ab. "Abgabe der Fallschirme", hallt es im Hangar. "Dann zurück in die Kaserne. Fragen? - Keine? - Ausführen!"