Bundesjustizminister Marco Buschmann will beim Neubau die Anforderungen senken, etwa beim Lärmschutz. Kluger Gedanke, nur leider zu spät.

Bauen/Wohnen: Tomo Pavlovic (pav)

Wer ein neues Haus plant, muss gute Nerven haben. Schon gewusst? In einem Schlafzimmer, das sechzehn Quadratmeter oder größer ist, sollten mindestens acht Steckdosen fachkundig installiert werden. Wobei der Elektriker gern mal fünf Steckdosen mehr als unbedingt gefordert empfiehlt, man kann ja nie wissen. Wer das alles nicht glaubt, kann in der DIN 18015-2 nachschlagen, das ist nur eine dieser zahllosen Deutschen Industrienormen, in welcher der Stand der Technik und Zahl der Steckdosen genauestens festgeschrieben ist. Alles muss vom Dach bis zum Keller seine Ordnung haben in diesem Land, was einerseits immer noch typisch deutsch und in diesem Fall auch sinnvoll ist, weil die Standardisierungen für hohe Qualität, Verlässlichkeit und Sicherheit sorgen.

 

Allerdings geht es beim Bau von neuen Wohnhäusern nicht immer nur um sicherheitsrelevante und daher notwendige Einbauten. Vielmehr werden häufig Komfortstandards definiert, die in den vergangenen Jahrzehnten in Deutschland gehörig gewachsen sind, zur Freude der Bauindustrie. So müssen Türen im Neubau selbsttätig zufallen. Bodentiefe Fenster sehen zwar schick aus, sie müssen aber aus teurem Sicherheitsglas gefertigt sein. Und bei den Anforderungen an die Trittschalldämmung in Decken gebührt Deutschland – allein was etwa die Materialstärke anbelangt – im Vergleich zu anderen europäischen Nachbarländern ein Spitzenplatz.

Zahllose Normen

Inzwischen sind rund 3700 baurelevante Normen zusammengekommen, die sich teilweise sogar widersprechen. Normen sind vielleicht keine Gesetze. Doch in Deutschland gilt: Wenn nach der Fertigstellung des Gebäudes nur eine davon nicht erfüllt ist und jemand klagt, etwa der Bauherr, werden schlussendlich die Architekten in die Haftung genommen.

Diese unheilvolle Praxis bei Neubauten führt einerseits zu einem immer höheren Planungs- und Genehmigungsaufwand. Andererseits treibt die Regulierungsbürokratie die Baukosten in mittlerweile in unkalkulierbare Höhen. Nach einer Studie des Bauforschungsinstituts Arge sind die Baukosten in den vergangenen vier Jahren etwa in Großstädten um 42 Prozent gestiegen, was eben nicht nur am Krieg in der Ukraine und der Inflation geschuldet war. Die Baugenehmigungen sind massiv eingebrochen. Das einstige Ziel der Bundesregierung von jährlich 400 000 neuen Wohnungen wurde erneut deutlich verfehlt.

Um Bauen wieder bezahlbar zu machen, will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) nun das Baurecht reformieren und Vorschriften lockern. Dabei gehe es ihm vor allem um Standards, „die gesetzlich nicht zwingend sind, die aber bei Neubauprojekten oft als vereinbart gelten – wie zum Beispiel in Bezug auf die Trittschalldämmung“, sagte er in einem Interview. Klingt vernünftig, der Vorschlag zur Eindämmung der Normierungswut kommt aber zu spät.

Die Architektenkammern fordern seit einer gefühlten Ewigkeit, Bauen wieder einfacher zu machen. Bauherrschaften und Projektentwickler sollen rechtlich abgesichert von gewissen Standards abweichen können, die vor allem viel kosten. Für eine kleinteilige Flickschusterei an beinahe täglich ausufernden neuen Baunormen ist keine Zeit mehr, im Grunde muss ein neuer Gebäudetyp her. Ein Pionier des Einfachen Bauens ist Florian Nagler, ein Münchner Architekt. Der vielfach mit renommierten Architekturpreisen ausgezeichnete Planer engagiert sich bei einer Initiative der Bayerischen Architektenkammer, die Kostensenkungen im Bau zum Ziel hat.

Ein Fachausschuss, dem auch Florian Nagler angehört, plädiert für die Einführung einer Gebäudeklasse „E“. „E“ steht dabei für „einfach oder Experiment“. Es geht um Innovation durch Reduktion. Man spart Kosten, indem man ressourcenschonend baut. Und man schwört gewissen Komfortstandards ab, die wir uns in Zeiten des katastrophalen Wohnungsmangels nicht mehr leisten können. Justizminister Marco Buschmann und seine Kollegin Klara Geywitz aus dem Bundesbauministerium müssen sich endlich zusammensetzen und eine umfassende Reform des Baurechts veranlassen. Alles andere wäre politisch unverantwortlich.