Zerstörungswut und Unachtsamkeit sind ein ständiges Übel. Warum fällt es so schwer, Dinge unbeschädigt zu lassen und achtsam zu sein?, fragt Lokalchef Jan Sellner.

Stadtleben/Stadtkultur: Jan Sellner (jse)

Stuttgart -

 

Ob Sie mal versuchen wollen, eine Zeitungsseite zu einem Papierschiffchen zu falten – vielleicht diese hier, nachdem Sie sie gelesen haben – und es auf dem Eckensee schwimmen zu lassen? Wenn Sie nach einer Stunde wieder kommen, wird es dann noch schwimmen, vorausgesetzt, es war (Ecken-)seetüchtig gebaut? Eher nicht. Wahrscheinlicher ist, dass jemand vorbeigekommen ist und das Schiffchen versenkt hat. Mit einem Stein, einem Stock oder mit was auch immer.

Sie könnten auch versuchen, aus Zeitungspapier und Leim eine Pappmaché-Figur zu bauen, und diese versuchsweise in der Königstraße aufstellen. Es wird jemand kommen, der sie umstößt und klein tritt, sofern nicht Mitarbeiter der Abfallwirtschaft pflichtgemäß zur Tat schreiten und sie entsorgen. Man kann ja mal wetten, und wer auf Nein setzt, ist deshalb kein Misanthrop, einer, der anderen Menschen gegenüber grundsätzlich misstrauisch eingestellt ist, sondern jemand, der aus Erfahrung spricht.

Keine vorübergehende Erscheinung

Ist das nicht Kinderkram? Sie haben recht! Die rätselhafte Lust am Kaputtmachen und Zerstören fängt oft schon im Kindesalter an, wobei die Meinungen auseinandergehen, ob dieser destruktive Zug im Menschen angeboren ist oder durch seine Umwelt geformt wird. Eine Familienzeitschrift widmet dem sogar eine eigene Rubrik: „Dinge, die mein Kind kaputt gemacht hat.“ Problematisch wird es später, wenn sich pubertäre Energie in Sachbeschädigungen entlädt. Dabei handelt es sich wohlgemerkt um eine Minderheit von Jugendlichen. Wichtig ist jedoch, dies nicht als natürliche und vorübergehende Erscheinung abzutun. Es ist nämlich keineswegs sicher, dass sogenannte Halbstarke, wenn sie Ganzstarke sind, derartige Dinge unterlassen. Tatsache ist, dass häufig auch Erwachsene ihrer Zerstörungswut freien Lauf lassen.

6011 Fälle von Sachbeschädigung

In Stuttgart wurden im vergangenen Jahr 6011 Fälle von Sachbeschädigung angezeigt – im Schnitt etwa 16 pro Tag. Dazu zählen Graffiti, Beschädigungen in S- und Stadtbahnen, zerkratzte Autos. Landesweit waren es 67 178 solcher Straftaten. Dafür hat sich der Begriff Vandalismus eingebürgert, womit man dem gleichnamigen früheren germanischen Volksstamm angeblich Unrecht tut. Wie auch immer: Die wenigsten Fälle werden aufgeklärt, die Kaputtmacher kommen fast immer davon. Auch im jüngsten Fall von Vandalismus im benachbarten Gerlingen fehlt von den Tätern jede Spur. Unbekannte haben dort zwei riesige Deko-Ostereier am Eingang zur Stadt umgestürzt und beschädigt. Einfach so, aus Spaß an der Freud, wie man sagt. Richtiger müsste es heißen: aus Spaß an der Zerstörung. Für den dortigen Bürgermeister Georg Brenner passt das ins Bild: „Der Respekt vor öffentlichem Eigentum nimmt ab.“

Niedergetrampelte Tulpen am Schlossplatz

Mutwillige Beschädigung ist das eine, Unachtsamkeit das andere. Einem Ladenbesitzer im Königsbau fiel diese Woche auf, dass viele der eingepflanzten Tulpen am Schlossplatz niedergetrampelt worden sind. Und er fragt sich zu Recht: Warum ist es so schwer, achtsam zu sein? Im Grunde weiß doch jeder, was richtig wäre: Blumen bitte nicht zertreten!

Den Vorschlag mit dem Zeitungspapier und dem Papierschiffchen ziehen wir an dieser Stelle übrigens wieder zurück. Wegen des vielen Mülls in der Stadt – ein anderes, nicht minder ärgerliches Thema.

jan.sellner@stzn.de