Die Entscheidungen des IOC schwächen den Anti-Doping-Kampf, meint unser Sportredakteur Dirk Preiß.

Sport: Dirk Preiß (dip)

Stuttgart - Nun dürfen sie also doch. Obwohl die Ermittler der Welt-Anti-Doping-Agentur nachgewiesen haben, dass in Russland in den vergangenen Jahren staatlich organisiert und vom Geheimdienst unterstützt gedopt und somit gnadenlos betrogen wurde, hat sich das Internationale Olympische Komitee gegen einen Komplett-Ausschluss der russischen Mannschaft für die am 5. August beginnenden Sommerspiele von Rio de Janeiro entschieden. Ein starkes Signal im Anti-Doping-Kampf und zum Schutz der sauberen Sportler sieht definitiv anders aus. An der Strenge der Kriterien für die Teilnahme russischer Sportler an den Spielen liegt es nun, ob irgendjemand außerhalb Russlands mit der Entscheidung zumindest schweren Herzens leben kann. So oder so bleibt aber mehr als nur ein fader Beigeschmack.

 

Obwohl längst erwiesen ist, dass sich kaum ein russischer Athlet unter staatlicher Förderung dem Dopingsystem hat entziehen können, begründete Thomas Bach das IOC-Urteil unter anderem mit dem Satz: „Es gilt die Unschuldsvermutung.“ In den Ohren all jener, die ohne unerlaubte Hilfe ums Vorankommen im Spitzensport kämpfen, muss das wie Hohn und Spott klingen. Was, bitte schön, muss denn noch ans Licht kommen, bis konsequente Folgen benannt werden? Erst Recht die Welt nicht mehr verstehen wird Julia Stepanowa.

Klar, die russische Leichtathletin war einst selbst Teil des Dopingsystem ihres Heimatlandes. Ohne ihren Mut und ihre Bereitschaft, diese fiesen Machenschaften aufzudecken, wäre das Ausmaß des organisierten Sportbetrugs in Russland allerdings nie ersichtlich geworden. Und was macht das IOC? Verwehrt Stepanowa den Start in Rio unter neutraler Flagge. Einladen werde man sie, ja. Auf der Laufbahn will man sie aber nicht sehen. Warum? Sie erfülle nicht die „ethischen Anforderungen an einen olympischen Athleten“. Dabei ist klar: Soll der Anti-Doping-Kampf weiter vorankommen, braucht es noch viel mehr Kronzeugen wie Julia Stepanowa. Doch denen ist seit Sonntag die Lust an der Aufklärung vermutlich vergangen. Dem ohnehin schon zähen Ringen um einen sauberen Sport hat ausgerechnet das IOC damit einen Bärendienst erwiesen – zu Lasten der Glaubwürdigkeit des Spitzensports.