Das rigorose Vorgehen gegen Stuttgart-21-Gegner stimmt mehr als nachdenklich, meint StZ-Lokalredakteur Thomas Braun.
Stuttgart - Schon nach dem missglückten Polizeieinsatz vom 30. September 2010 im Schlossgarten wurde viel darüber spekuliert, ob Polizei und Justiz womöglich auf politischen Druck hin eine härtere Gangart gegenüber den Gegnern von Stuttgart 21 eingeschlagen haben. Der von der StZ dokumentierte Fall weist in diese Richtung. Zwar kann man sich fragen, warum ein Privatmann einer an den Bahnhofsbauarbeiten beteiligten Firma damit droht, dass diese keine Aufträge mehr in Stuttgart erhalten werde. Diese Äußerung aber mit einer polizeilichen Hausdurchsuchung zu quittieren ist unangemessen.
Allerdings wird allmählich eine neue Linie erkennbar: Auch bei den Blockadeaktionen am Hauptbahnhof geht die Polizei mittlerweile rigoros vor; Betroffene beklagen, dass mitunter sogar Unbeteiligte eingekesselt und deren Personalien festgestellt werden. Die Reihe dieser Vorfälle lässt sich fortsetzen. So entsteht bei vielen Projektgegnern der Eindruck, es handele sich um die Fortsetzung der Schlossgarten-Strategie - mit anderen Mitteln.
Man stelle sich einmal vor, die Behörden hätten etwa im Fall der Ölplattform Brent Spar ein ähnliches Vorgehen an den Tag gelegt: Als der Mineralölkonzern Shell 1995 den Öltank in der Nordsee versenken wollte, hagelte es Protestschreiben und Boykottaufrufe gegen Shell-Tankstellen, ohne dass deswegen die Staatsanwaltschaft Durchsuchungen beantragt oder gar Richter dieselben genehmigt hätten.
Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben
Auch der Widerstand gegen Stuttgart 21 ist bis jetzt - von Ausnahmefällen abgesehen - gewaltfrei, wenn auch nicht immer legal verlaufen. Blockadeaktionen können nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Nötigung sein - sie müssen es aber nicht. Wer daran teilnimmt, muss mit Konsequenzen rechnen.
Wer aber lediglich sein Bürgerrecht wahrnimmt und mit friedlichen Mitteln gegen einen seiner Ansicht nach zu teuren und unausgereiften Bahnhofsumbau protestiert, darf nicht wie ein mutmaßlicher Krimineller behandelt werden. Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben - vorauseilender Übereifer erhöht das Vertrauen in den Rechtstaat nicht.