Das US-Justizministerium hegt Zweifel an den von Daimler angeführten Abgasemissionen. Bislang ist dem Stuttgarter Konzern aber noch kein gesetzeswidriges Fehlverhalten nachgewiesen worden, meint Wirtschaftsredakteur Walther Rosenberger.

Stuttgart - Die deutsche Automobilindustrie und ihr Vorzeigeprodukt der Diesel stehen unter Beschuss. In den USA hat Volkswagen gerade von den Behörden einen Teil der Rechnung für seine Abgas-Tricksereien präsentiert bekommen. Ein Rückkauf Hunderttausender manipulierter Wagen sowie ein „substanzieller Schadenersatz“ an die Halter stehen im Raum. Vorsorglich hat der Wolfsburger Konzern für das Diesel-Desaster rund 16,4 Milliarden Euro zurückgestellt. Damit droht der mit Abstand größte Jahresverlust in der Unternehmensgeschichte. Und jetzt zieht sich auch die Schlinge um Daimler zu. Das US-Justizministerium hat Daimler aufgefordert zu untersuchen, wie viel Stickoxide und andere Schadstoffe die eigenen Automodelle denn wirklich ausstoßen. An den offiziellen Angaben des Herstellers hegen die US-Amerikaner offenbar Zweifel. Genährt wird das Misstrauen von Sammelklagen in den USA, die Daimler vorwerfen, beim Thema Abgas getrickst zu haben und auch ein konkretes Modell nennen.

 

Aber Vorsicht. Die Fälle VW und Daimler sind nicht gleich gelagert. VW hat nachweislich getrickst und Abschalteinrichtungen eingebaut. Daimler hat früh vehement bestritten, sich illegaler Praktiken bedient zu haben und betont, sich an geltendes Recht und Gesetz zu halten. Beides hält der Konzern auch weiterhin aufrecht. Bislang sieht sich der Stuttgarter Konzern – anders als die Wolfburger Konkurrenz – lediglich Vorwürfen gegenüber. Außerdem wird VW von den US-Behörden selbst durchleuchtet, im Fall von Daimler haben die Ermittler den Konzern nur aufgefordert, eigene Untersuchungen durchzuführen. Auch das ist ein Unterschied, der verdeutlicht, dass Daimler noch nicht in einem Diesel-Skandal steckt.

Die juristischen Auseinandersetzungen, in die immer mehr Autobauer bei Thema Abgas hineingezogen werden verdeutlichen allerdings, dass in der Automobilindustrie ganz generell über Jahre – vielleicht sogar Jahrzehnte – viel schief gelaufen ist. Fast hat man den Eindruck, dass überall, wo genauer hingesehen wird, irgend etwas zum Vorschein kommt.

Dass selbst moderne Autos Stickoxid-Grenzwerte überschreiten, ist eigentlich klar

Dass Autos jedweder Couleur mehr verbrauchen – und damit auch mehr klimaschädliches Kohlendioxid ausstoßen als von den Herstellern offiziell angegeben, ist beispielsweise schon lange ins kollektive Bewusstsein der Autofahrer eingegangen. Aber auch beim auf Gesundheitsaspekten viel kritischeren Stickoxid liegen die Fakten eigentlich auf der Hand. Nicht nur Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen monieren hier massive Grenzwertüberschreitungen. In der Fachwelt ist seit langem klar, dass hinten viel mehr raus kommt, als es eigentlich sollte. Sogar moderne Euro-6-Motoren stoßen nach Ansicht von renommierten Motorenexperten ein Vielfaches des aktuellen Grenzwerts von 80 Milligramm Stickoxid pro Kilometer aus. Die Rede ist von 200 bis 600 Milligramm. Bei älteren Modellen sogar bis zu 1000 Milligramm pro Kilometer. Eine glatt 12-fache Überschreitung der offiziellen Grenzwerte.

Ob es eine in betrügerischer Absicht eingebaute Abschalt-Einrichtung ist, die solche Real-Werte verschleiern soll, oder ob man rechtliche Schlupflöcher, die der Gesetzgeber den Autobauern einräumt maximal ausdeutet, um auf dem Papier saubere Fahrzeuge von den Bändern rollen zu lassen, spielt da eigentlich keine so große Rolle mehr. Der Kunde kann sich nicht mehr sicher sein, ob er eine Dreckschleuder besitzt – egal welche Marke er bevorzugt. In Punkto Vertrauen und Marken-Image ist allein das ein größter anzunehmender Unfall.

Zum Super-Gau wird die Abgas-Affäre für die Konzerne zu dem Zeitpunkt, wenn es Ermittlern und Behörden gelingt, bewusstes Fehlverhalten nachzuweisen. Dann drohen Klagen in Milliardenhöhe wie jetzt im Fall von Volkswagen. Und diese können selbst Industrieschwergewichte ins Wanken bringen.