Eine Woche nach dem Militärputsch gegen den Präsidenten Mursi herrscht in Ägypten nach wie vor das politische Chaos. Eine ordnende Kraft ist nicht in Sicht, analysiert der Kairoer StZ-Korrespondent Martin Gehlen.

Kairo - Exakt eine Woche sind der Militärputsch und der von Armeechef al-Sissi dekretierte Politfahrplan jetzt alt – und Ägypten steht bereits mitten im nächsten politischen Chaos. Die Tahrir-Allianz ist zerfallen, die Salafisten wedeln mit einem eigenen Übergangskonzept. Der Al-Azhar-Großscheich Ahmed al-Tayyeb, ebenfalls Partner der Anti-Mursi-Koalition, ist abgetaucht und hat sich islamische Schweigeexerzitien auferlegt. Und die Rebellenbewegung Tamarod tut so, als ob sie die Armeeversion vom Terroristenüberfall glaubte, die in einem für Ägypten beispiellosen Blutbad der Streitkräfte an Muslimbrüdern endete.

 

Dem Altdiplomaten Mohamed al-Baradei dagegen schwant Böses. Er fordert eine unabhängige Untersuchung, die es natürlich niemals geben wird. Videos und Augenzeugenberichte vom Ort des Geschehens allerdings mehren sich. So ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Strahlkraft der Stunden später aufgenommenen Armeesequenz von einem rot markierten, schießenden Protestierer als Unschuldsbeweis endgültig verblasst ist.

In Ägypten werden keine Träume mehr wahr

Kein Wunder, dass der neue Übergangspräsident Adli Mansur in dieser aufgeheizten Lage nun in einem Akt verzweifelter Selbstsuggestion die Flucht nach vorne antritt. Bereits innerhalb der nächsten sieben Monate soll ein von Experten revidiertes Grundgesetz verabschiedet und ein neues Parlament gewählt werden, dekretiert er kühn. Ein Plan, den die Rebellen von Tamarod postwendend als Gründungsurkunde einer neuen Diktatur geißeln. Im kommenden Frühjahr sollen Präsidentenwahlen folgen, dann wären Militärputsch und Entmachtung Mursis bald Geschichte, so das Kalkül. Doch in dem Ägypten von heute werden keine Träume mehr wahr. Und nach dem Auszug der Salafisten gerät die restliche Tahrir-Allianz der zweiten Revolutionäre mehr und mehr in den Ruch, mit Panzern und Gewehren an die Macht gelangte Wahlverlierer zu sein.

Denn ihr Bündnis mit Armee und Polizei könnte sich als Pakt mit dem Teufel erweisen. Die Generäle haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren sämtliche Verbrechen ihrer Truppen unter den Tisch gekehrt. Lediglich zwei junge Soldaten, die im Oktober 2011 mit gepanzerten Fahrzeugen durch einen Demonstrationszug von Christen fuhren, wurden minimal bestraft, ihre Befehlshaber blieben aber ungeschoren. Das Gleiche gilt für die schweren Übergriffe der Militärpolizei auf dem Tahrir-Platz. Die Bilder von der halb nackten jungen Frau, der Soldaten noch am Boden liegend in den Magen und auf den Kopf traten, gingen damals um die Welt. Auch das Video des Polizeischarfschützen, der sich vor laufender Kamera brüstete, wieder einem Demonstranten die Augen ausgeschossen zu haben, ist unvergessen.

Schwere Hypothek für die Übergangsallianz

Ägyptens Sicherheitskräfte haben immer nach eigenem Ausnahmerecht agiert. Die Polizei hatte unter Mursis Präsidentschaft ihren Dienst glattweg verweigert, jetzt fühlen sie sich erneut als unangefochtene Herren im eigenen Haus. Für die politische Übergangsallianz, die sich mit dem Sturz der Muslimbrüder die Rettung der revolutionären Ideale auf ihre Fahnen geschrieben hat, könnte sich dies schon bald als überschwere Hypothek erweisen.

Die Opposition ist hoffnungslos zerstritten. Ihr Spitzenpersonal ist genauso mittelmäßig wie das der geschassten Vorgängerführung. Der Neo-Nasserist Hamdeen Sabahi meldet sich noch gelegentlich mit kruden Vorschlägen und schwammigen Interviews zu Wort. Der Ex-Chef der Arabischen Liga, Amr Moussa, strotzt verbal vor Tatendrang und weiß doch nicht, was er tun soll. Und Mohamed al-Baradei, Ägyptens bekanntester Polit-Twitterer, gilt selbst in den Reihen der eigenen Partei als schlechter Organisator mit abgehobenen Attitüden und einsamen Entscheidungen, der die Flügel nicht zusammenhalten kann.