Kann es einen guten Putsch geben? Nach der reinen Lehre nicht, doch unter Umständen kann dadurch für ein Land wie Ägypten wieder Hoffnung entstehen, meint der StZ-Redakteur Christoph Link.
Stuttgart - Das demokratische Experiment ist gestoppt. Es währte nur ein Jahr, denn den im Juni 2012 aus freien Wahlen mit einer Mehrheit vom ägyptischen Volk zum Präsidenten gewählten Mohammed Mursi hat das Militär entmachtet und in Gewahrsam genommen. Viele seiner Genossen von den Muslimbrüdern sind verhaftet worden. Es gibt daran nichts zu beschönigen: In Ägypten ist ein klassischer Staatsstreich abgelaufen, ein Putsch durch die Armee, die den Kollaps des Staates befürchtete und deshalb dessen obersten Repräsentanten absetzte.
Mit den Regeln von Demokratie und Rechtsstaat hat dies nichts zu tun. Es ist der Rückfall in eine überwunden geglaubte Zeit, als eine starke Armee – lange das Werkzeug des Diktators Hosni Mubarak – über Wohl und Wehe mitbestimmte. Dass Mursi ein schlechter Präsident gewesen ist, der sein Land herunterwirtschaftete und den politischen Konsens nicht suchte, das mag sein. Aber es kann nach der reinen Demokratielehre keine Entschuldigung für einen Staatsstreich sein. Entsprechend geharnischt fallen die weltweiten Reaktionen aus. Tiefe Sorge, Mahnung zur Rückkehr zur Demokratie – so ist der Tenor von Washington bis Ankara.
Leise Hoffnung keimt auf
Denkt man an historische Figuren wie Oberst Gaddafi in Libyen, Augusto Pinochet in Chile oder Kaiser Bokassa in Zentralafrika – sie alle putschten sich an die Macht –, wird einem bewusst, welch finsteres Kapitel mit einem Staatsstreich für eine Nation aufgeschlagen werden kann. Und die Armee in Ägypten, das steht außer Frage, hat in der Vergangenheit gemeinsam mit der Polizei bei der Verfolgung der Muslimbrüder oft Menschenrechte missachtet.
Und dennoch: bei allen Bedenken gegenüber dem Geschehen in Kairo keimt doch die leise Hoffnung, dass dies eine Art guter Putsch gewesen sein möge. Denn man kommt an den Bildern aus Kairo natürlich nicht vorbei, es sind die von den jubelnden, begeisterten Massen. War es überhaupt ein Putsch? Oder war es angesichts der Millionen von Anti-Mursi-Demonstranten in den Städten nicht vielmehr eine erneute Revolution, die zweite in Folge nach dem Sturz Mubaraks? Eine Revolution, die von der Armee gekapert wurde? 18 Tage hatten die Massenproteste 2011 gedauert, um den drei Jahrzehnte lang regierenden Mubarak zu entthronen. Vier Tage brauchte jetzt das wütende Volk, um Mursi aus dem Amt zu jagen. In Ägypten, so scheint es, wird Politik noch auf der Straße gemacht, brutal und sehr direkt.
Gegengewicht zu den Islamisten
Eine mächtige Armee kann – je nach Lesart – Störfaktor oder Stabilisator für eine Nation sein. In der Türkei und Algerien haben säkular gesinnte Militärs mehrfach in das politische Geschehen eingegriffen. Sie verstehen sich dort als Gegengewicht zu den Islamisten, liefern sich mit ihnen im Falle Algeriens einen „schmutzigen Krieg“. Auch Thailand hat in der Vergangenheit viele Militärregierungen erlebt, der jüngste Putsch liegt erst sieben Jahre zurück. Neuwahlen folgten rasch, das Land gilt als relativ stabil. Es gibt keinen Königsweg zur Demokratie, aber in einem Punkt sind sich Politikwissenschaftler einig: ein anhaltendes Chaos, bürgerkriegsähnliche Zustände und in der Folge der wirtschaftliche Niedergang sind ihr nicht dienlich.
Der neue starke Mann in Kairo, General Abdel Fattah al-Sissi, hat versucht, den Putsch behutsam – wenn das Wort erlaubt ist – einzuleiten. Er hat Mursi vor Monaten Vorwarnungen gegeben, er hat in seine Entscheidung starke politische und gesellschaftliche Kräfte eingebunden. Das nährt die Hoffnung, dass er rasch zu zivilen Verhältnissen zurückwill. Sollte die Armee aber Willkür walten lassen, die gestürzten Muslimbrüder einkerkern und drangsalieren, statt sie in der Politik einzubinden, wäre Ägypten bald wieder am Nullpunkt. Eine neue Spirale der Gewalt würde entstehen – der Nährboden für den nächsten Umsturz.