Alice Schwarzer, Herausgeberin der Frauenzeitschrift „Emma“ und streitbare Feministin, ist als Steuersünderin enttarnt. Der Fall hat viele bedenkliche Seiten, kommentiert Stefan Geiger.

Stuttgart - Es fällt schwer, keine Schadenfreude zu empfinden. Alice Schwarzer, diese moralinsaure Rechthaberin steht am öffentlichen Pranger, weil sie, die über andere stets so streng geurteilt hat, selbst über Jahrzehnte hinweg in erheblichem Maße Steuern hinterzogen hat. Vor allem aber, weil sie auf eine lächerliche und erbärmliche Weise ihr Fehlverhalten kleinzureden und sich zu rechtfertigen versucht.

 

Schadenfreude ist aber kein guter Ratgeber bei der Beurteilung des Sachverhalts. Vor allem hilft sie nicht bei der Lösung des Problems. Das merkt man spätestens, wenn man die jetzt überquellenden Internetforen, auch die seriöser Medien liest. Was dort an Unflat und Bösartigkeiten über diese Frau ausgekübelt wird, ist maßlos, nicht nur in der Form, auch im Inhalt. Es gibt schon noch schlimmere Untaten als Steuern zu hinterziehen. Die Feministin blickt in diesen Tagen in einen Spiegel: Viele kleine Schwarzers, die sich selbst auf dem Gipfel der Moral wähnen, geifern gegen das „Böse“ – diesmal gegen eine Frau, die bereits am Boden liegt.

Wir ergötzen uns daran, wenn die, die oben standen, tief fallen.

Alice Schwarzer hat sich zu einer Ikone stilisiert. Wir haben es zugelassen. Viele Menschen sehnen sich nach moralischen Instanzen in einer Gesellschaft, deren Werte sich immer weiter ausdifferenzieren. Gerade auch viele Medien zimmern inzwischen immer höhere Podeste für einzelne Zeitgenossen, Piedestale, die für normale Menschen einfach zu groß sind. Und wir ergötzen uns dann daran, wenn die, die oben standen, besonders tief fallen. Wir sollten keinen Menschen in den Himmel heben – und uns andererseits auch nicht zu sehr wundern, dass alle Menschen fehlbar sind. Die müssen dafür dann manchmal eben auch büßen. Punktum. Das gilt nicht nur für Alice Schwarzer, den „Zeit“-Journalisten Theo Sommer, Uli Hoeneß und all die anderen Steuerhinterzieher.

Es gibt aber auch eine rechtliche Seite. Alice Schwarzer hat sorgfältiger agiert als Uli Hoeneß und eine perfekte Selbstanzeige vorgelegt. Sie hat die Steuern samt Zuschlag nachgezahlt – freilich nur für den noch nicht verjährten Teil der Hinterziehungszeit. So will es das Gesetz. Sie wird deshalb wohl ohne strafrechtliche Sanktion davonkommen. Diese Regeln hat die Gesellschaft gemacht, und niemand sollte die Frau dafür tadeln, dass sie das in Anspruch nimmt, was das Recht ihr zubilligt. Sie könnte mehr tun, aber sie muss es nicht. Das Gesetz ist der Fehler; es sollte endlich geändert werden. Steuerbetrug ist eine ganz gewöhnliche Straftat – so wie jeder andere Betrug auch. In all den anderen Fällen kann sich auch kein Straftäter durch Selbstanzeige vor Strafe schützen.

Das Hinterziehen von Steuern galt lange als Kavaliersdelikt

Steuerhinterziehung aber galt, auch das muss man Frau Schwarzer zugutehalten, in breiten Kreisen der Wohlhabenden noch vor wenigen Jahren als Kavaliersdelikt, für das man sich nicht schämen muss. Der Bewusstseinswandel ist nicht nur bei dieser einzelnen Frau viel zu spät gekommen. Es war auch kein freiwilliger Wandel vom Saulus zum Paulus. Nicht Reue, sondern das extrem gestiegene Risiko der Entdeckung hat viele Steuerbetrüger nachträglich zu Steuerzahlern gemacht. Auch das ist menschlich, wenn sie denn nur zahlen.

Bleibt die Indiskretion. Das Steuergeheimnis hätte auch für Alice Schwarzer gelten müssen. Man sollte das inzwischen löcherig gewordene Steuergeheimnis durchaus verteidigen. Niemand, der über das, was er hat und verdient, ungern redet, sollte es gering schätzen. Aber die Frau deutet selbst an, dass der Verräter nicht in deutschen Behördenstuben, sondern in der Schweiz sitzt. Alice Schwarzer hat sich viele Feinde gemacht. Durften der „Spiegel“ und nach ihm all die anderen Medien vermelden, was durchgestochen worden ist? In diesem Fall ausnahmsweise ja. Zu abgründig ist der Unterschied zwischen Worten und Taten einer Frau, die sich selbst zu einer öffentlichen Person gemacht hat.