In deutschen Aufsichtsräten läuft vieles schief, unabhängig davon, wie sie besetzt sind. Doch der eigentliche Grund für Pannen ist oft, dass richtige Eigentümer fehlen, meint der Leiter des StZ-Wirtschaftsressorts, Michael Heller.

Stuttgart - Gerhard Cromme, dem Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp steht ein äußerst ungemütlicher Tag bevor. Denn am Freitag muss er den Aktionären erklären, wie es in dem Konzern einst zu dem Desaster kommen konnte, das sich mittlerweile in einem Verlust von fünf Milliarden Euro spiegelt. Der Bau eines Stahlwerks in Brasilien ist zum gigantischen Flop geworden; zudem wecken Kartellstrafen und anrüchige Vergünstigungen für bestimmte Gruppen Zweifel daran, dass mit der Firmenkultur alles in Ordnung ist. Und dies ausgerechnet in dem Konzern, dessen Aufsichtsrat der frühere Vorsitzende der Corporate-Governance-Kommission führt; jener Kommission, die sich Gedanken über gute Unternehmensführung gemacht hat.

 

Das Fiasko in Brasilien hat Dimensionen, die es mit dem Skandal um den neuen Berliner Flughafen locker aufnehmen können. Wie im Fall von BER stellt sich die Frage, wie es zu den vielen Pannen kommen konnte. Dass die Aufsicht in beiden Fällen versagt hat, steht fest. Und damit ist auch klar, dass liederliche Kontrolle keineswegs eine Spezialität von angeblich überforderten Politikern ist. Der Ruf nach Experten, der den Regierenden regelmäßig entgegenhallt, kann im Fall Thyssen-Krupp unterbleiben. Der Aufsichtsrat ist über den früheren Vorstandschef Cromme hinaus gespickt mit Leuten, die Renommee besitzen – von den beiden ehemaligen Industrieverbandspräsidenten Hans-Peter Keitel und Jürgen Thumann über Ulrich Lehner von Henkel bis zu der früheren „Wirtschaftsweisen“ Beatrice Weder di Mauro.

Nur Aktionäre, keine Eigentümer

Dass die Aufsicht nicht funktioniert, hat andere Gründe als mangelnde Expertise. Zumindest in großen, börsennotierten Aktiengesellschaften – wie Thyssen-Krupp – liegt der Grund in einem Machtvakuum. Diese Konzerne haben meist nur Aktionäre, keine Eigentümer. Der Unterschied? Eigentümer fühlen sich für Wohl und Wehe des Unternehmens verantwortlich, wollen die Richtung vorgeben und kontrollieren, ob Kurs gehalten wird. Aktionäre interessieren sich hingegen nur für hohe Dividenden und Aktienkurse. Entscheidend freilich ist die Höhe der Beteiligung; Kleinaktionäre haben nun einmal keine Macht.

Seit knapp 20 Jahren, seit die Kapitalmärkte den Takt vorgeben, haben sich die Gewichte verschoben. Vielfach sind es jetzt die Unternehmen selbst – genauer: die Vorstände –, die Ausschau nach jemandem halten, der ihre Aktien kaufen könnte. Ein Beispiel dafür ist Daimler. Immer wieder suchen die Stuttgarter nach Investoren, mal in der arabischen Welt, mal in China. Da geht es stets um Pakete in der Größenordnung von maximal zehn Prozent. Denn allzu groß soll aus Sicht des Managements der Einfluss eines Einzelaktionärs nicht sein. Nach der Logik des Vorstands ist ein Aktionär wie Kuwait mit seinen 7,4 Prozent ideal, zumal die Araber, soweit bekannt, noch nie irgendwelche Forderungen gestellt haben – Aktionäre eben, keine Eigentümer.

Die Entlastung wird nicht verweigert

Deshalb ist es auch kein Zufall, dass es bei Daimler stets der Chef war, der für Kursänderungen gesorgt hat, einst Edzard Reuter, dann Jürgen Schrempp und Dieter Zetsche. So gibt es gegenwärtig auch keine lebhaften Debatten über den Kurs des Unternehmens und Zetsches Vertrag. Wie in der Vergangenheit, so wird der Aufsichtsrat auch jetzt wieder ergeben nicken.

Bei Thyssen-Krupp, wo zwei Drittel des Kapitals trotz einer starken Stellung der Krupp-Stiftung in Streubesitz sind, sieht es nicht anders auch. Und damit ist die Wahrscheinlichkeit, dass es am Freitag in der Hauptversammlung zu einer Revolution kommt, denkbar gering. Cromme muss sich keine großen Sorgen machen. Die Entlastung, so heißt es, werde ihm wohl nicht verweigert. Leider. Denn nur wenn die Anteilseigner sich emanzipieren von der Fixierung auf den Aktienkurs und zu Miteigentümern werden, besteht Hoffnung auf Besserung. Groß ist diese Hoffnung allerdings nicht.