Die Räumung des Schlossgartens ist eine Zäsur. Jetzt muss die Bahn zeigen, dass sie das Projekt gestemmt bekommt, fordert Lokalchef Achim Wörner.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Es war eine heikle Aufgabe, welche die Stuttgarter Polizei in der Nacht auf Mittwoch im Schlossgarten zu bewältigen hatte. Denn allzu wach ist die Erinnerung an den 30. September 2010, als eine vergleichbare Aktion völlig aus dem Ruder lief. Und allzu emotional besetzt ist das Thema, das über allem schwebt: der Streit um Stuttgart 21 und die damit verbundene Fällung und Versetzung von fast 200 Bäumen mitten in der grünen Lunge der Landeshauptstadt. Umso verständlicher ist die Erleichterung, die der Polizeipräsident Thomas Züfle, aber auch Politiker jedweder Couleur im Laufe des Tages zum Ausdruck brachten: die Räumung des von mehr als 1000 Demonstranten belagerten Parks sowie der Zeltstadt ist ohne nennenswerte Zwischenfälle verlaufen.

 

Tatsächlich ist dies ein Verdienst der Stuttgarter Ordnungshüter, die den Einsatz diesmal monatelang generalstabsmäßig vorbereitet haben. Es verdient größten Respekt, wie ruhig und zielstrebig die Beamten ihre Aufgabe erledigt haben. Sehr hilfreich aber war ohne Zweifel, dass sie keineswegs auf eine aggressive Menge an Stuttgart-21-Gegnern getroffen sind, auf gewaltbereite schwarze Blocks oder echte Krawallmacher. Der Protest ist – anders als nach verschiedenen Vorgängen der vergangenen Wochen befürchtet wurde – im entscheidenden Moment friedlich geblieben. Auch das verdient große Anerkennung.

Die Bauarbeiten nehmen für alle sichtbar ihren Lauf

Für Stuttgart 21 selbst stellt der Mittwoch eine Zäsur dar. Nach Massendemonstrationen, Schlichtung, Regierungswechsel im Land und Volksabstimmung markiert er das Ende eines langen, bisweilen sehr schwierigen, aber auch lehrreichen demokratisch-politischen Prozesses. Immerhin stammen die ersten Überlegungen für eine Neuordnung des Bahnknotens Stuttgart von Mitte der 1980er Jahre. Spätestens jetzt aber, da der Südflügel des Hauptbahnhofes zur Hälfte gefallen ist und die Arbeiten für den neuen Bahnhof für alle sichtbar ihren Lauf nehmen, ist aus der milliardenschweren Idee Stuttgart 21 eine echte Baustelle geworden.

Der Ball liegt nun mehr denn je im Feld der Bauherrin Deutsche Bahn AG, die beweisen muss, dass sie das in manchen Augen gigantomanisch anmutende Projekt gestemmt bekommt. Daran hat der Schienenkonzern selbst durch diverse Planungspannen in den vergangenen Wochen immer wieder Zweifel genährt. Und eines ist auch klar: viele Fragen sind noch gänzlich offen, juristische, planerische – etwa im Blick auf die Anbindung des Flughafens –, vor allem aber auch kostentechnische. Die Risiken liegen dabei angesichts der kilometerlangen Tunnelstrecken auf der Hand.

Die Projektpartner müssen kritische Begleiter sein

Diese Risiken bringen wiederum die Politik ins Spiel. Speziell Ministerpräsident Winfried Kretschmann und die Grünen haben zuletzt massive Kritik der Projektgegner einstecken müssen. Dies hat damit zu tun, dass die Partei in den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre bei einem Teil ihrer Klientel Erwartungen geweckt hat, die sich nicht haben einlösen lassen – nämlich Stuttgart 21 doch noch stoppen zu können. Nun ehrt es den Ministerpräsidenten, dass er sich wider seiner eigenen inneren Überzeugung in der Sache der Entscheidung des Souveräns beugt und damit klar macht: Es gibt kein Zurück, nachdem das Vorhaben vor allen demokratischen Instanzen bestanden hat und es überdies rechtsverbindliche Verträge gibt.

Das ist gut und richtig so – und dennoch darf sich das Regierungshandeln künftig nicht darin erschöpfen, der Bahn nun völlig freie Hand zu lassen. Im Gegenteil. Gerade weil es nun nicht mehr um die Grundsatzfrage des Für oder Wider geht, muss die Landesregierung, müssen aber ebenso die Stadt Stuttgart und die Region ihre Verantwortung als Projektpartner ernst nehmen – und sich im Sinne der Steuerzahler und Bürger als Kontrolleure und kritische Begleiter verstehen.