Bei Falschparkern sind Behörden oft unerbittlich – aber bei dem Gefährder Anis Amri blieben gravierende Vorwürfe ungeahndet? Polizei und Justiz dürfen nicht so wehrlos bleiben wie im Fall des Tunesiers, der in Berlin einen Anschlag verübt hat, kommentiert Andreas Müller.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Es sind Zahlen, die irritieren. Drei Staatsanwaltschaften beschäftigten sich allein im Land mit Anis Amri, insgesamt acht waren es wohl bundesweit – trotzdem blieb der Tunesier weitgehend unbehelligt bis zum Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt. Nicht jedes der offenbar elf Verfahren wiegt gleich schwer: Unerlaubte Einreise ist bei Flüchtlingen kaum zu vermeiden, Schwarzfahren eher ein Bagatelldelikt. Doch auch gravierendere Vorwürfe wie Urkundenfälschung oder Körperverletzung blieben letztlich ungeahndet, weil Amri für Polizei und Justiz nicht zu fassen war.

 

Fatale Folgen

Nicht nur unter Sicherheitsaspekten ist das hochbedenklich. Auch für das Rechtsempfinden hat es fatale Folgen, wie die FDP im Stuttgarter Landtag zu Recht beklagt. Bei seinen Bürgern kann der deutsche Staat unerbittlich sein: Falschparker oder Temposünder können ein Lied davon singen; auch Verstöße gegen die Melderegeln etwa werden konsequent verfolgt. Bei Menschen aber, die mit unlauteren Absichten ins Land kommen, zeigt sich derselbe Staat inkonsequent oder ohnmächtig – das passt auf Dauer nicht zusammen. Es untergräbt die Rechtsmoral der Bürger und schürt zudem Vorbehalte gegen Flüchtlinge. Die Politik tut gut daran, diese Kluft möglichst bald zu verringern. Nötig ist das nicht nur in hoffentlich seltenen Fällen wie dem Amris, sondern auch im Alltag.