Die Streiks bei Amazon legen die Folgen von Onlineshopping bloß. Der familiäre Einkaufsbummel stirbt anscheinend langsam aus. Doch die Konsumenten sollten sich der Konsequenzen ihres Tuns bewusst werden, kommentiert unser Autor Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Selbst kleinen Kindern kann niemand mehr erzählen, dass die Geschenke mit Knecht Ruprecht „von drauß’ vom Walde“ herkommen. Sie wissen längst, dass der Paketdienst das Gewünschte aus dem Logistikzentrum herankarrt. Meist ist Amazon im Spiel. Der rasant wachsende Versandriese bearbeitet in der Vorweihnachtszeit bis zu 4,6 Millionen Bestellungen pro Tag. Er steht wie auch Zalando und andere für ein System, das unser Einkaufsverhalten und die Arbeitswelt verändert.

 

Mühelos haben sich die Online-Händler in unser Leben geschlichen. Wir haben nicht hinterfragt, sondern munter bestellt. Nun bröckelt die Fassade, weil die Gewerkschaft Amazon bessere Konditionen abtrotzen will und dazu das lukrative Weihnachtsgeschäft nutzt. Das Unternehmen orientiert sich an der Logistikbranche, lehnt einen Tarifvertrag aber ab – die US-Zentrale lässt grüßen. Verdi beharrt auf einer Entlohnung nach dem Versand- und Einzelhandelstarif. Die Streikbereitschaft wächst, doch das Management ignoriert die Gewerkschaft. Wie und wann der Kampf endet, ist offen. Er hat einen hohen Stellenwert, weil es im Kern auch um das Überleben des traditionellen Einzelhandels geht.

Arbeit unter Akkordbedingungen

Gewiss, mitunter trägt die Kritik am Prinzip Amazon heuchlerische Züge. Wer klickt da nicht mit? Zu einfach und zu schnell landet das gewünschte Produkt beim Besteller. Daran konnten die Streiks bisher nicht viel ändern. Selbst wer erst am frühen Montagmorgen ordert, soll bis Heiligabend beliefert werden. Dahinter steckt ein minutiös getakteter Ablauf und ein Heer von Mitarbeitern, das Produkte von A nach B schleppt. Sie arbeiten quasi unter Akkordbedingungen. Scanner signalisieren den Gruppenleitern jederzeit, wo sich die „Stower“ oder „Picker“ aufhalten, die neue Waren in die Regale verstauen oder bestellte Produkte zum Verpacken herbeiholen. Praktisch jeder Fehlgriff wird vom Vorgesetzten gerügt. Wer das geforderte Leistungsniveau nicht bald erreicht, kann gehen. Die Dauerüberwachung ist zwar legal, doch wenn der Kontrolldruck um sich greift, verliert Arbeit ein Stück Würde.

Amazon-Chef Jeff Bezos hat schon einen Hersteller von Lagerrobotern erworben. Sobald ein Automat die gewünschten Ergebnisse erzielt, wird er den Menschen in den Logistikzentren ersetzen. Roboter streiken nicht für mehr Lohn. Zugute halten muss man Amazon, dass nicht jeder Mitarbeiter unzufrieden ist. Wer andernorts keine Chance erhält, kann hier noch gutes Geld verdienen. Doch Austauschbarkeit ist ein Teil des Systems. Viele Beschäftigte halten sich gerade im Weihnachtsgeschäft als Aushilfskräfte über Wasser.

Amazon verführt zum Dauershopping

Der Kulturwandel macht sich nicht nur in den Lagern, sondern auch auf Seiten des Verbrauchers bemerkbar. Noch lässt sich dieser vielleicht im Fachgeschäft beraten, bestellt aber im Internet. Bald schon könnten ihm die Bewertungen anderer Nutzer ausreichen, dann spart er sich auch die Fahrt zum Einzelhändler. Amazon verführt zum Dauershopping – rund um die Uhr, sieben Tage die Woche. Das Angebot ist allumfassend. Was den Erwartungen nicht entspricht, geht problemlos retour. Dieses Prinzip leistet der Beliebigkeit Vorschub. Und es belastet noch die Umwelt mit unzähligen überflüssigen Kurierfahrten.

Einkaufen als familiäres Event? Kann man vergessen. Seltsam altmodisch wirkt schon das Stöbern in den Kaufhäusern – fast wie ein Museumsbesuch. Die Folgen sind gravierend: Einzelhändler geben auf, Innenstädte veröden, ordentliche Arbeitsplätze verschwinden. So haben Karstadt & Co. keine Zukunft mehr. Noch ist der Einzelhandel mit gut drei Millionen Beschäftigten eine Lebensader des Arbeitsmarktes – wie lange noch? Amazon lässt sich nicht ignorieren. Doch müssen sich die Konsumenten der Konsequenzen ihres Tuns bewusst werden. Bequemlichkeit und Preisbewusstsein fordern einen hohen Tribut.