Der Krieg gegen den Terror löst Reflexe aus. Dies wird vieles in Frankreich verändern – auch für die muslimische Gemeinschaft. Mehr Integration tut Not, nicht mehr Stigmatisierung im Sinne Marine Le Pens, meint der StZ-Korrespondent in Paris, Axel Veiel.

Paris - Nach dem aberwitzigen Morden der Terroristen sei eine aberwitzige Frage erlaubt: Wäre es womöglich das Beste, wenn die Pariser, die Franzosen, die westlichen Gesellschaften einfach weitermachten wie bisher? Droht nicht alles andere den Terroristen in die Hände zu arbeiten? Sie wollen nun einmal, dass sich etwas ändert. Sie wollen, dass Angst und Schrecken um sich greifen, offene Gesellschaften sich abschotten, Nabelschau betreiben, Freiheit und Demokratie im Namen des Antiterrorkampfes weiter beschneiden, ihre eigenen Werte verraten.

 

Nicht, dass das offenbar vom Islamischen Staat gesteuerte Morden nicht entschlossenste Gegenwehr verlangte. Staatschef François Hollande, Premierminister Manuel Valls oder Oppositionsführer Nicolas Sarkozy haben ja recht: Die mit automatischen Feuerwaffen und Sprengstoff agierenden Kommandos führen Krieg gegen Frankreich. Sie tun es freilich nicht erst seit Freitagabend. Anfang Januar haben Terroristen in Paris das Satireblatt „Charlie Hebdo“ und einen jüdischen Supermarkt überfallen. Ende August konnten zwei Amerikaner und ein Brite ein Blutbad im Schnellzug Amsterdam–Paris verhindern.

Die Regierung ist nicht untätig

Die Regierung hat ja auch längst reagiert. Für die Sicherheitskräfte hat sie Anfang des Jahres die höchste Alarmstufe ausgerufen. Ein neues Geheimdienstgesetz stattet die Fahnder mit so umfangreichen Befugnissen aus, dass man nur beten kann, das Gesetz möge niemals einem autokratischen Regime in die Hände fallen. 3000 Soldaten patrouillieren in den Straßen von Paris. Radikale islamische Prediger werden abgeschoben, Schulkinder frühzeitig auf die Werte der Republik und die Vorzüge weltlicher Staatsordnung eingeschworen.

Gewiss mag im Antiterrorkampf dieses oder jenes zu verbessern sein. So stellt sich die Frage, wieso Attentäter im August wie auch jetzt zur Tat schreiten konnten, die von den Geheimdiensten als Islamisten registriert waren. Mehr als ein Verfeinern der Methoden ist kurzfristig aber kaum möglich. Die erschreckende Wahrheit lautet: Die Franzosen – und nicht nur sie – werden einstweilen mit dem Terror leben müssen. Eine Menge Mut erfordert das.

Wenn der Gedanke des Weitermachens wie bisher gleichwohl aberwitzig ist, dann deshalb, weil nach dem Massaker die Emotionen über den Verstand triumphieren. Ein Krieg löst Reflexe aus. Er schreit nach Mobilmachung, nach Vergeltung. Und so wird sich in Frankreich einiges ändern, und zwar nicht nur zum Guten.

Marine Le Pen darf auf weiteren Zuspruch hoffen

Schon vor den Anschlägen des 13. November zählte der Terrorismus zu den größten Sorgen der Franzosen. Nun ist er die Sorge Nummer eins. Der- oder besser: diejenige, die wider besseres Wissen Schutz verspricht, die Rechtspopulistin Marine Le Pen, darf auf weiteren Zulauf hoffen. Es sei ihre Pflicht zu sagen, dass die Franzosen in ihrem Land nicht mehr sicher seien, verkündet sie. Grenzen dicht machen, keine Ausländer, keine Muslime und damit auch keinen Terror mehr ins Land lassen lautet ihr fremden- und islamfeindliches Rezept. Vor dem 13. November durfte die Chefin des Front National hoffen, bei den Regionalwahlen Anfang Dezember zwei der 13 Regionen zu erobern. Wie viele werden es sein, wenn die Meinungsforscher die Franzosen erneut befragen?

Fest steht, dass Frankreich die größte muslimische Gemeinschaft Europas beherbergt. Mehr Integration tut not, nicht mehr Stigmatisierung, wie Marine Le Pen sie betreibt. Millionen von Mitbürgern, die durch den Terror in Generalverdacht geraten sind, gesellschaftlich weiter abzudrängen, leistet der Radikalisierung Vorschub.

Mehr Integration heißt: nachholen, was über Jahrzehnte versäumt wurde. Es verlangt, sich entschlossener den seelenlosen Vorstädten zuzuwenden, wo radikales Gedankengut fruchtbaren Nährboden vorfindet. Es verlangt Investitionen in Milliardenhöhe und Reformbereitschaft, Wirtschaftsaufschwung und wachsende Staatseinnahmen. Es verlangt ein gesellschaftliches Umdenken. All dies klingt illusorisch und ist kurzfristig kaum zu leisten. Erfolg versprechende Antiterrorpolitik wäre es gleichwohl. Mutig weitermachen wie bisher mag also fürs Erste der richtige Weg sein. Langfristig bedarf es dann doch mehr.