Nach dem Höhenflug 2011 sind die Grünen 2012 im Sinkflug. Die Ursachen dafür sind hausgemacht, meint der StZ-Redakteur Christoph Link.

Stuttgart - Die Liberalen können ein Lied davon singen, wie dicht Aufstieg und Fall in der Politik beieinanderliegen. Die Grünen können es, wenn sie nicht aufpassen, auch bald. Heitere Fragen wie die, wer nerviger sei als Claudia Roth, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Umfragewerte miserabel sind. Seit dem Fukushima-Hoch vom Juni 2011 haben sich die bundesweiten Werte für die Grünen fast halbiert auf 13 Prozent. Dabei war der Rekordwert keine Einzelerscheinung nach der Atomkatastrophe. Schon im Herbst 2010 hatten die Grünen einen Höhenflug und zogen mit der SPD gleich. Umso schlimmer ist der tiefe Fall heute.

 

Man wird annehmen dürfen, dass das Erstarken der munteren Piratenpartei und die Renaissance der Sozialdemokraten den Grünen das Wasser abgraben. Auch hat sich ihr großes Thema, der Atomausstieg, mit der Energiewende im Prinzip erledigt. Aber es sind auch hauseigene Probleme, die der 32 Jahre alten Partei zu schaffen machen. Das Jahr 2011 ist für die Grünen glänzend gelaufen, sie haben den Sprung in sämtliche Landtage geschafft und erstmals einen Ministerpräsidenten gestellt. Andererseits sind strategische Fehler unübersehbar gewesen: So haben sich Hamburgs Grüne mit dem Aufkündigen von Schwarz-Grün in der Hansestadt selbst aus der Verantwortung gekegelt. In Berlin hat es Renate Künast nicht geschafft, Klaus Wowereit in ein Regierungsbündnis zu locken. Und im Saarland ist die Jamaikakoalition gefloppt, was viele auch den halsstarrig ihre Ziele durchsetzenden Saar-Grünen – Stichwort absolutes Raucherverbot in Kneipen – anlasten.

Einseitige Ausrichtung

Das grundsätzliche Problem der Grünen ist, dass sie einseitig als die fürs Ökologische zuständige Partei verstanden werden – und sonst wenig. Mit Themen wie Inte-gration oder Bürgerrechten lassen sich Wahlen nicht gewinnen. Die Kompetenz für Soziales vermutet man bei der SPD oder den Linken, die für Wirtschaftspolitik bei den Konservativen. Die Bemerkung von FDP-Mann Rainer Brüderle, der wirtschaftspolitische Sachverstand von Jürgen Trittin passe in eine Jutetasche, ist zwar hinterhältig und stammt von einem Liberalen, der mit einem Wachstum-heißt-betonieren-Wahlkampf aus dem Landtag flog. Andererseits trifft sie an den Stammtischen ins Schwarze. Die Grünen haben es nicht verstanden, den von ihnen gewünschten ökologischen Umbau der Wirtschaft publikumswirksam zu vermarkten. „Green New Deal“ heißt ihr Projekt, ein sperriger Begriff. Er erinnert an das Investitionsprogramm der USA in den 30er Jahren – umständlicher geht’s nimmer.

Die Partei muss sich breiter aufstellen, um nicht zur Nischenpartei zu werden. Winfried Kretschmann exerziert in Stuttgart vor, wie man mit Trippelschritten zur Energiewende und mehr Bürgerbeteiligung kommt. Er sucht den Schulterschluss mit der Industrie und versucht, die Mehrheit nicht zu vergraulen. Man möchte auf jeden Fall gestalten, wie man heute sagt, wenn man an der Macht bleiben will. Revolutionäres ist aus Stuttgart nicht zu hören. Wenn der grüne Verkehrsminister seine Sympathie für Tempo 120 auf Autobahnen bekundet, tut er dies in einer Fachpostille, macht daraus aber keine offizielle Politik, denn mehrheitsfähig wäre die nicht.

Im Bund stehen die Zeichen 2013 auf Rot-Grün, und um personell gerüstet zu sein, erwägen die Grünen, ihr Spitzenduo durch eine Urwahl bestimmen zu lassen. Inhaltlich bringt sie das nicht weiter. Aber ein schwelender Streit zwischen den Führungsmatadoren Roth und Trittin – Renate Künast ist seit der Berlin-Wahl angeschlagen, Cem Özdemirs Ambitionen sind limitiert – wird so im Keim erstickt. Dass die Grünen ein Spitzenduo aufstellen wollen, ist klug. Mit Kollektivlösungen an der Spitze, die alle Flügel abdecken, ist die Partei nicht schlecht gefahren. Einen Kanzlerkandidaten braucht sie ohnehin nicht.