Die Grünen-Fraktion im Bundestag wählt Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter zu ihren neuen Vorsitzenden. Sie versucht so, in ruhigeres Fahrwasser zu kommen, kommentiert der StZ-Redakteur Christoph Link.

Stuttgart - Ein Wunder war nicht zu erwarten gewesen. Mit der Wahl einer doppelten Fraktionsspitze sind die grünen Bundestagsabgeordneten ihrem traditionellen Rechts-Links-Schema bei der Besetzung von Chefposten treu geblieben: Da ist zum einen Anton Hofreiter, der Verkehrsexperte und Stuttgart-21-Kritiker, der vom linken Flügel als Kandidat gesetzt war.

 

Und da ist Katrin Göring-Eckardt, die pastoral wirkende Realo-Frau, die sich im Wahlkampf an der Seite des Linken Jürgen Trittin für sozialpolitische Fragen öffnete und vergessen machte, dass sie früher schon Fraktionsvorsitzende war und unter Rot-Grün für die Agenda 2010 gefochten hat. Ist sie eine Realo im linken Gewand? Man könnte es positiv formulieren: Katrin Göring-Eckardt ist eine Person, die die Flügel der Partei zusammenführen könnte.

Die frühere Kirchenfunktionärin hat sich in einer Kampfabstimmung gegen eine zweite Frau des realpolitischen Flügels durchgesetzt, die Freiburgerin Kerstin Andreae. Deren wirtschaftsnaher Kurs – mitten im Wahlkampf erhielt sie den Deutschen Elite-Mittelstandspreis, den auch der FDP-Politiker Rainer Brüderle hat – war vielen in der Fraktion nicht geheuer.

Kerstin Andreae ist chancenlos

Dabei wäre ein Gespann Hofreiter-Andreae die aufregendere Mischung gewesen, ein echter Neuanfang. Eine Wahl Andreaes hätte der Union signalisiert, dass die Grünen am Donnerstag nicht nur ernsthaft – wie Claudia Roth sagt – Schwarz-Grün ausloten werden sondern liebend gern.

Auch aus einem anderen Grund blieb Andreae chancenlos: In der Partei hätte man sie nach einem Sieg als Kriegsgewinnlerin betrachtet, die das Wahldebakel nach oben spülte, obwohl sie sich in den innerparteipolitischen Schlachten bisher nicht besonders exponiert hat. Die Mehrheit hat daher auf die wendige und erfahrenere Göring-Eckardt gesetzt – dabei ausblendend, dass sie als Spitzenkandidatin mitverantwortlich dafür war, dass die Grünen am 22. September mit 8,4 Prozent zur viertstärksten politischen Kraft herabsanken.

Für den Kurs der Grünen in den nächsten Wochen gibt die Kampfabstimmung ein zweideutiges Signal. Zum einen ist nun offensichtlich, dass der Realo-Flügel zersplittert ist und sich nicht einmal auf eine eigene Kandidatin einigen kann. Das ist eine bittere Ironie der Geschichte: Vor allem die Linken der Grünen waren vom Wähler bei der Bundestagswahl für ihre Steuererhöhungsideen abgestraft worden, es war ihre Niederlage. Doch die Realos können keinen Gewinn und Nutzen daraus ziehen. Ausgerechnet sie stehen heute geschwächt da.

Ein Aufbruch in die Mitte wird nicht wahrscheinlicher

Das trifft vor allem jene grünen Realpolitiker empfindlich, die in Baden-Württemberg in der Regierungsverantwortung stehen. Sie erwähnen gelegentlich ihr hartes Los, das darin besteht, wegen der Zeitnot im Amt die Parteiarbeit schleifen zu lassen und die Funktionärsarbeit den Linken zu überlassen. Ein Aufbruch in die bürgerliche Mitte wird nun nicht wahrscheinlicher.

Auf der anderen Seite suchen die Grünen offensichtlich wieder ruhiges Fahrwasser. Sie müssen für sich selbst klären, was sie wollen und wo ihre Kernthemen außerhalb der Energiewende eigentlich liegen. Sind es Nischenthemen wie Agrarwende oder Bürgerrechte? Solch eine Selbstfindung geht vermutlich nur, wenn man nicht die gesamte Führung austauscht, sondern erfahrene Kräfte an Bord lässt. Instinktiv hat die Fraktion erfasst, dass ihr eine Revolution gegen sämtliche Kader nicht weiterhilft. Nach der lauten, nervenzehrenden und polarisierenden Ära von Persönlichkeiten wie Claudia Roth, Jürgen Trittin und Renate Künast kommen nun jedenfalls auf Ausgleich bedachte Leute ans Ruder. Es wird vermutlich harmonischer und besinnlicher bei den Grünen. Das birgt Chancen und gleichzeitig Risiken. Mit gepflegter Langeweile können sich erfolgreiche Regierungen vielleicht an der Macht halten – für Oppositionsparteien ist sie tödlich.