Die EU will Defizitsündern wie Frankreich mehr Zeit geben. Das ist falsch, findet der StZ-Redakteur Roland Pichler: Brüssel und die nationalen Regierungen unterwandern ihre bisherige Budgetpolitik und Glaubwürdigkeit geht verloren.

Stuttgart - So schnell werden Fakten geschaffen. Es ist gerade ein paar Monate her, da war auch die Bundesregierung noch mächtig stolz darauf, dass in Europa eine strenge Haushaltsüberwachung eingeführt worden ist. Vor gut einem Jahr unterschrieben 25 EU-Mitglieder den Fiskalvertrag, der niedrige Defizitgrenzen vorschreibt. Zur neuen haushaltspolitischen Überwachung in der EU gehören Frühwarnsysteme und neue Sanktionen. Bundeskanzlerin Angela Merkel bezeichnete es damals als großen Fortschritt, dass die EU-Länder Schuldenbremsen in nationales Recht aufnehmen. Doch mit der angeblichen Etatdisziplin ist es nicht weit her. Die EU-Kommission knickt schon bei der ersten Bewährungsprobe des reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts ein.

 

Am Mittwoch entscheidet Brüssel, wie es mit Defizitsündern in den eigenen Reihen umgeht. Frankreich erhält bis 2015 Zeit, um seine Neuverschuldung unter die Obergrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung zu senken. Auch Spanien kann die Ziele später erreichen, wofür es anders als bei Frankreich gute Gründe gibt. Damit offenbart Brüssel, wie lax es mit seinen neuen Möglichkeiten umgeht.

Große Opfer

Der Aufschub für Frankreich ist falsch. Wie ungeniert die EU-Kommission ihre Spielräume ausreizt, zeigt sich daran, dass Frankreich gleich zwei Jahre Verlängerung bekommt, um die Vorgaben einzuhalten. Dieser Freibrief ist nicht zu begründen. Eine gewisse Flexibilität bei schwierigen Wirtschaftslagen ist zwar auch in dem reformierten Vertragswerk angelegt. Doch der Verweis auf die Rezession in vielen Euroländern reicht nicht. Aus diesem Grund sind die Etatziele schon in den vergangenen Jahren verschoben worden. Länder wie Griechenland, Portugal und Spanien müssen ihrer Bevölkerung große Opfer zumuten, um die Schuldenmisere zu überwinden. Anders als Madrid und Lissabon hat Paris aber in den vergangenen Jahren nur wenig gespart. Schon aus diesem Grund gibt es keinen Grund für Nachsicht.

Was sich auf den ersten Blick nach einem kleinmütigen Streit um Fristen anhört, ist angesichts der Erfahrungen mit dem Stabilitätspakt ein Politikum. Vor zehn Jahren hatten der damalige französische Staatspräsident Jacques Chirac und der deutsche Kanzler Gerhard Schröder den Stabilitätspakt außer Kraft gesetzt. Die Gründe dafür ähnelten seinerzeit den Einwänden, die Gegner des Sparkurses in Europa heute vorbringen. Es dürfe nicht um technokratische Regeln gehen, sondern es komme auf mehr Wachstum an, lauten die Forderungen. Die heutigen Stellungnahmen aus dem Élysée erinnern fatal an die Zeit vor zehn Jahren. Wenig Aufmerksamkeit findet hierzulande, wenn der französische Industrieminister das Drei-Prozent-Ziel in Frage stellt und Finanzminister Pierre Moscovici das Entgegenkommen Brüssels als Kurswechsel lobt. So hatte sich Deutschland die Verschärfung des Stabilitätspaktes nicht vorgestellt.

Sparen und Wachstum sind durchaus in Einklang zu bringen

Dass sich die Bundesregierung dennoch mit Kritik zurückhält, ist nur so zu erklären, dass Deutschland in dieser Frage kaum Verbündete hat. In weiten Teilen Europas herrscht der Eindruck vor, der harte Sparkurs müsse zu Gunsten einer wachstumsfreundlichen Politik aufgegeben werden. Dass Sparen und Wachstum durchaus in Einklang zu bringen sind, hat der deutsche Weg in den vergangenen Jahren gezeigt. Europa muss seine Zusagen ernst nehmen.

Bei der Entscheidung der Kommission geht es um mehr als um Frankreich. Davon hängt ab, wie sehr sich die übrigen Länder darum bemühen, die Regeln einzuhalten. Um den Schaden zu begrenzen, muss Brüssel der französischen Regierung wenigstens strenge Auflagen machen. Aussicht auf Erfolg gibt es nur, wenn Frankreich den gewährten Aufschub für Reformen nutzt. Wie das gelingen kann, hat Deutschland mit der Agenda 2010 gezeigt.