Marine Le Pen, Chefin des Front National (FN) in Frankreich, hat einen Gutteil der Arbeiter und mittleren Angestellten hinter sich gebracht. Wer will sie noch aufhalten?

Paris - Ein Terminkalender ist es nur. Aber er spricht Bände. Auf dem Programm Marine Le Pens stehen eine Begegnung mit Bauern, eine weitere mit Pensionären sowie eine Reise nach Schweden, wo die Französin rechtsradikale Mitstreiter anderer Nationen treffen will.

 

Stationen auf dem Weg zur Macht sind das. Die Chefin des Front National (FN) hat einen Gutteil der Arbeiter und mittleren Angestellten hinter sich gebracht. Nun heißt es, andere gesellschaftliche Gruppen zu umwerben und die Allianz mit Gleichgesinnten aus Großbritannien, Österreich oder auch Italien zu festigen, also mit all jenen, die ebenfalls der EU ein Ende machen wollen. Der Albtraum, dass sich EU-Gegner aller Länder vereinigen und in Bataillonsstärke ins Europaparlament einziehen, gewinnt an Kontur. Der Front National jedenfalls hat gute Aussichten, aus den Europawahlen im Mai in Frankreich als stärkste politische Kraft hervorzugehen. Meinungsforscher sagen ihm 24 Prozent der Stimmen voraus.

Denn wer will Marine Le Pen noch aufhalten? Wie andere erfolgreiche europäische Rechtspopulisten besitzt die Französin Charisma, sie kann verführen. Auch geht sie geschickter zu Werke als ihr Vater. Wo Jean-Marie einst ausfällig wurde, serviert die Tochter die rechtsradikale Botschaft inzwischen durchaus gefällig. Anstatt etwa zum Feldzug gegen den Islam zu blasen, bekundet die smarte Juristin mit Verweis auf Straßengebete der Muslime einfach nur ihre Sorge um Frankreichs weltliche Staatsordnung.

Eine doppelte Krise

Vor allem aber profitiert die FN-Chefin von der Krise. Eine doppelte ist es in Frankreich. Zur Wirtschaftskrise gesellt sich die Identitätskrise. Arbeitslosenquote und Firmenpleiten haben Rekordniveau erreicht. Hinzu kommt der Bedeutungsverlust des Landes. Was Halt gab, bricht weg. Der starke, schützende Staat, das engmaschige soziale Netz, der internationale Einfluss des doch zu den Veto-Mächten des UN-Sicherheitsrats gehörenden Landes: alles schwindet. Aufstrebende Wirtschaftsmächte im Süden der Erdhalbkugel übertönen keck die Stimme ihrer früheren Kolonialmacht. Die soziale Sicherheit, auf die Frankreich doch so stolz ist, höhlt die Wettbewerbsfähigkeit des Landes weiter aus, ist in Zeiten leerer Kassen immer schwerer zu finanzieren.

Ein wachsender Teil des Volkes würde am liebsten die Zeit zurückdrehen. Und genau da setzt Marine Le Pen an. Sie verheißt die Wiederauferstehung des zwanzigsten, ja des neunzehnten Jahrhunderts. Die FN-Chefin predigt die Rückkehr zu ungebrochener nationalstaatlicher Souveränität, Todesstrafe, traditionellem Familienbild, einer ethnisch und religiös homogenen Gesellschaft. Als bedürfte es nicht des Blicks nach vorne und kühner Entschlüsse, um Wege aus der Krise aufzutun.

Staatschef Hollande lässt Führungsstärke vermissen

Und als wäre dies nicht schon deprimierend genug, bleiben die großen Volksparteien Alternativen schuldig. Staatschef François Hollande laviert, lässt Führungsstärke vermissen. Die Opposition zerreibt sich in internen Machtkämpfen. Weder Sozialisten noch Rechtsbürgerliche haben ein Konzept, wie sie der Bedrohung von rechts außen begegnen wollen. Mal biedern sie sich an, legen Härte gegenüber Immigranten an den Tag in der Hoffnung, damit Marine Le Pen die Gefolgschaft abspenstig zu machen. Dann wieder grenzt man sich ab, verdammt den Front National, dessen Gedankengut man sich eben erst zu eigen gemacht hat, als republikfeindlich.

Dabei gäbe es ja vielleicht ein Rezept gegen rechts: die Wahrheit. Dazu gehört nicht nur der Hinweis, dass Le Pens Programm Frankreich in den Ruin führen würde. Dazu gehört das Eingeständnis, dass Frankreichs Krise weder den Roma noch den Muslimen noch der EU geschuldet ist, sondern schlicht eigenem mangelndem Reformeifer. Doch dazu fehlt der Mut.