Diesmal sorgt der Bundesnachrichtendienst durch Abhöraktionen für Schlagzeilen. Doch wer nicht weltfremd ist, dem werden wenig Argumente gegen die Spionalge im Interesse Deutschlands einfallen, kommentiert der StZ-Redakteur Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - In der Türkei sowie unter Türken in Deutschland herrscht eine gewisse Aufgeregtheit, weil ruchbar geworden ist, dass der Bundesnachrichtendienst in dem Land am Bosporus Spionage betreibt. Der deutsche Botschafter hatte sich deswegen am Montag in Ankara zu rechtfertigen. Für den Unmut kann man allemal Verständnis aufbringen. Allerdings besteht kein Grund, in diesem Zusammenhang gebetsmühlenhaft an ein Zitat der Bundeskanzlerin zu erinnern, wonach Spionage „unter Freunden“ tabu sein müsse. Welche Aufregung würde in Deutschland herrschen, säßen die Agenten des Bundesnachrichtendienstes in der Türkei nur an der Sonne und tränken Kaffee?

 

Wer nicht der weltfremden und zudem riskanten Ansicht zuneigt, dass Spionage aus ethischen Gründen rundweg zu unterlassen sei, der wird wenig Argumente gegen Aufklärungsarbeit in der türkischen Republik anführen können. Dabei spielt die Frage, ob die Türkei Mitglied der Nato ist, eine nachrangige Rolle.

Die Sicherheit Deutschlands ist tangiert

Auf eigene Erkenntnisse aus dieser Region zu verzichten wäre fahrlässig. Deutschlands Sicherheitsinteressen sind unmittelbar berührt. Dafür gibt es mindestens drei gewichtige Gründe: Erstens leben bei uns drei Millionen türkische Staatsbürger und etliche mehr, deren Wurzeln in der Türkei liegen. Die Aktivitäten extremistischer Gruppen in ihrem Heimatland können sich jederzeit zu einem innenpolitischen Problem der Bundesrepublik auswachsen. Zweitens tangieren die Spannungen im Grenzgebiet der Türkei mit Syrien und dem Irak auch die Sicherheit Deutschlands, zumal dort Bundeswehrsoldaten stationiert sind. Drittens nutzen Schleuser, Drogenhändler und islamistische Terroristen die Türkei als Transitland.

Die Türkei ist ein wichtiger Handelspartner Deutschlands. Wegen der vielen Einwanderer von dort sind die Beziehungen von besonderer Art. Auf vielen Feldern existiert eine enge Zusammenarbeit, nicht zuletzt in der Sicherheitspolitik. Aber für den BND bleibt in Kleinasien viel zu tun. Merkels Verdikt gegen Spionage unter Freunden zielte auf ganz andere Verhältnisse. Die Kanzlerin hatte sich über die grenzenlose Spitzelei amerikanischer Geheimdienste in der Bundesrepublik beklagt. Es ist naiv oder scheinheilig, die beiden Fälle zu vergleichen. Die USA sind Deutschlands engster Bündnispartner – nicht etwa ein potenzielles Sicherheitsrisiko. Zudem überwacht der BND nicht in NSA-Manier flächendeckend die Kommunikation der Türken. Dazu wäre er weder legitimiert noch im Stande. Gleichwohl schwächt die brisante Nachricht über seine Aktivitäten in der Türkei und die nebenbei abgehörten Telefonate der US-Außenminister Clinton und Kerry die deutsche Position im Streit über rote Linien für Spione.

Die Bundesregierung verfolgt eine Salamitaktik

Diese Neuigkeiten werfen noch ganz andere Fragen auf: Sie beruhen auf Dokumenten, die ein illoyaler Mitarbeiter des BND an die Amerikaner verkauft hat. Als dieses Leck enttarnt war, hatten führende Mitglieder der Bundesregierung versucht, den Fall zu bagatellisieren. Der Spion sei ein eher kleines Licht, seine Indiskretionen hätten keinen relevanten Wert, hieß es. So äußerte sich unter anderem Innenminister Thomas de Maizière. Inzwischen verfestigt sich der Eindruck, dass die Angelegenheit mehr Sprengstoff birgt. Der Minister wird erklären müssen, ob er selbst schlecht informiert war oder ob er die Absicht verfolgte, Öffentlichkeit und Parlament hier bewusst in die Irre zu führen.

Gegenüber den Abgeordneten, die mit der Kontrolle der deutschen Geheimdienste betraut sind, scheint die Bundesregierung wie üblich eine Salamitaktik zu verfolgen: Sie informiert nur hinhaltend und häppchenweise. Wer Verständnis für die Notwendigkeit von Geheimdiensten erwartet, muss auch zu einem Mindestmaß an Transparenz bereit sein.