Niedersachsen ebnet den Weg zum Konsens bei der Atom-Endlagersuche. Das ist verantwortungsbewusst, meint die Berlin-Korrespondentin der Stuttgarter Zeitung, Bärbel Krauß.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Seit 36 Jahren entzweit der Streit über Gorleben die Republik. Seither hat es einige Anläufe gegeben, die Frage nach einem geeigneten Standort zur Lagerung des Atommülls zu beantworten. Bisher sind alle gescheitert. Deshalb bleibt man besser vorsichtig skeptisch, bis alle Beteiligten ihr Einverständnis offiziell erteilt und ihre Stimme in Bundestag und Bundesrat abgegeben haben. Aber: so nah wie jetzt war die Politik in Deutschland einer Einigung über die Endlagersuche noch nie – nicht einmal, als Ministerpräsident Winfried Kretschmann vor knapp zwei Jahren mit seinem Angebot, auch Standorte in Baden-Württemberg in die Suche mit einzubeziehen, die Fronten aufbrach. Seitdem hat sich viel bewegt. Das schwarz-gelbe und das rot-grüne Lager haben die Maximalpositionen, hinter denen sie sich jahrzehntelang verschanzt hatten, aufgegeben und über neue Lösungswege nachgedacht.

 

Zuletzt drohte der vielversprechende Prozess zu scheitern, weil wahltaktische Überlegungen vor den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen bei der SPD und bei den Grünen die erkennbare Einigungsbereitschaft in der Sache überlagerten. Wenn es jetzt vor der Bundestagswahl doch noch zu einer Verständigung kommt, dann haben viele Unterhändler dazu ein Scherflein beigetragen. Historisch aber ist, was die neue niedersächsische Landesregierung wagt. Beide Partner – der rote Ministerpräsident und der grüne Umweltminister – haben im Wahlkampf erklärt, die Endlagersuche dürfe nur unter Ausschluss von Gorleben stattfinden. Der Kompromiss vom Sonntag belegt, dass sie diese Forderung, die für die übrigen Länder, die Bundesregierung und die Bundestagsmehrheit das Totschlagsargument bei der aktuellen Endlagersuche gewesen wäre, fallen lassen. Wissend, dass ihnen das in ihrem Land Gegenwind bescheren wird, begeben sich Ministerpräsident Weil und sein Umweltminister Wenzel in die Hände einer Enquetekommission, die Kriterien für die Endlagersuche neu ausloten und damit die Grundlage für das künftige Gesetz liefern soll. Ob Gorleben damit irgendwann einmal von der Liste der möglichen Standorte gestrichen oder im Gegenteil endgültig als Lagerstatt auserkoren wird, bleibt offen.

Ein guter Kompromiss, der Zustimmung verdient

Das ist ein guter Kompromiss, der Zustimmung verdient. Fakt ist, dass die niedersächsische Landesregierung mit ihrem Schritt nun sicher die beste – vielleicht sogar die einzige – Chance aus der Hand gegeben hat, die Endlagersuche einschließlich Gorlebens zu blockieren. Dazu gehören Mut und Verantwortungsbewusstsein für die ganze Republik. Nun müssen die übrigen Länder gleichfalls Mut und Verantwortungsbewusstsein zeigen, wenn es darum geht, wo die Castoren zwischengelagert werden, die künftig nicht mehr nach Gorleben rollen. Dieses Problem ist nicht trivial, schon gar nicht, da in Bayern und Hessen Landtagswahlen anstehen. Aber die historische Chance, die Niedersachsen bei der Endlagersuche eröffnet hat, ist für alle anderen historische Verpflichtung.