Helmut Kohl hat die Bundesrepublik geprägt wie kein anderer Kanzler vor ihm. Er war in der deutschen Nachkriegsgeschichte eine historische, aber auch eine tragische Figur, kommentiert Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Helmut Kohl ist längst eine historische Figur. Für viele auch eine heroische. Aber er ist auch eine tragische Gestalt. Denn er hat trotz seiner unbestrittenen Verdienste nie jene Wertschätzung bekommen, wie sie etwa seinem Altkanzler-Kollegen Helmut Schmidt zuteilwurde. Schmidt war bis zu seinem Tod mit vielerlei Beckmessereien zur Weltpolitik präsent. Der Beifall, der ihm dafür stets gewiss war, blieb Kohl häufig genug versagt. Obwohl Schmidts Bilanz verblasst neben der seines Nachfolgers, der ihn einst aus dem Amt gedrängt hat.

 

Helmut Kohl hat Deutschland vereint, Europa dominiert, aber auch neu belebt. Er hat den Euro geschaffen und unsere Republik länger regiert als alle anderen im Amt des Bundeskanzlers. Er ist der monumentalste, folgenreichste, geschichtsmächtigste Kanzler seit Kriegsende – und zugleich der umstrittenste.

Das Echo seines Wirkens hallt fort bis in unsere Tage. Angela Merkel, die mächtigste Frau der Welt, wäre ohne seine schützende Hand, auch ohne sein Vorbild und ohne sein fatales Fehlverhalten am Ende der langen politischen Karriere vielleicht nie in die Verlegenheit geraten, Kohls Nachfolge anzutreten. Das Debakel um den bankrotten Eurostaat Griechenland ist ein Erbe der währungspolitischen Fehlkonstruktion, die Kohl mit zu verantworten hat. Bis zuletzt stritten der Patriarch und seine Anwälte vor Gericht über die Deutungshoheit über seine historische Rolle und seinen Nachruhm. Dabei sind seine Verdienste um die europäische Einigung und die deutsche Einheit nicht zu leugnen. Umstritten mag allenfalls die Frage sein, wie hoch der Sockel von Kohls Denkmal zu sein hat.

Ein Reformer unter den Konservativen

Ob seiner Monumentalität und der politischen Lethargie, die ihn am Ende seiner langen Jahre im Kanzleramt befallen hat, wird oft übersehen, dass Kohls Karriere als junger Wilder begonnen hatte. Er war ein Reformer unter den Konservativen – als Staatsmann war er ein Gestalter, als Regierungschef hingegen bloß ein Verwalter. Unter seiner Ägide genoss der bundesrepublikanische Wohlfahrtsstaat Denkmalschutz. Kohl regierte viel sozialdemokratischer als Merkel, von der manche sogar sagen, sie sei die erste SPD-Kanzlerin mit CDU-Parteibuch.

Die Wiedervereinigung sei Kohl doch eigentlich in den Schoß gefallen, sagen Kritiker. Doch selbst wer nicht zur Verehrung dieses Mannes neigt, muss einräumen, dass er mehr war als bloß ein Profiteur historischer Glücksfälle. Ohne Helmut Kohl hätte in der Wendezeit vieles anders und manches schlechter laufen können – mit unabsehbaren Langzeitfolgen. Natürlich war die Verschmelzung der beiden deutschen Staaten im Expresstempo nicht allein sein Verdienst. Aber keiner hat das zielstrebiger, mit mehr Leidenschaft und Fortune betrieben. Kohl sah sich noch zu Amtszeiten gerne als Pater Patriae, Vater des Vaterlandes. Bis ans Ende seiner Tage war ihm stets anzumerken, wie es ihm missfiel, dass ihm die Reverenz dafür in Teilen des Publikums versagt blieb. Für viele bleibt er als Vaterfigur in Erinnerung – manchen diente er als Projektionsfläche für eine von intellektueller Arroganz geprägten Verachtung.

Seine Halsstarrigkeit bleibt als Hypothek

Helmut Kohl ist schon zu Lebzeiten ein Denkmal geworden. Doch ein Denkmal dieser Größe wirft auch Schatten. Zu den Schattenseiten in der politischen Bilanz dieses Mannes zählt die sture Kumpanei im Umgang mit Großspendern der CDU. In den finstersten Monaten seiner Partei stellte er Loyalität über Recht und Gesetz – mit einer Halsstarrigkeit, die einem Politiker seines Formats unwürdig ist. Das bleibt als Hypothek. Kohls eigentliches Vermächtnis ist der Euro mit allen Risiken und Chancen, die sich mit diesem Projekt immer noch verbinden – sowie die blühenden Landschaften, in die sich die Ruinen der DDR mit einiger Verspätung zwar, aber beinahe flächendeckend verwandelt haben.