Die Operation „Bologna-Reform“ im deutschen Hochschulwesen ist im Großen und Ganzen gelungen. Doch die Nebenwirkungen sind groß, befindet der StZ-Redakteur Christoph Link.

Stuttgart - Das föderale Bildungssystem ist ständig im Umbruch. Länder probieren neue Schulformen aus, die Hochschulen bemerken bei ihren Erstsemestern ein sehr unterschiedliches Vorwissen. Die Universitäten und Fachhochschulen haben sich im vergangenen Jahrzehnt unter dem Stichwort Bologna selbst einer tief greifenden Reform unterzogen – der Einführung von Bachelor und Masterabschlüssen, der Angleichung des Hochschulwesens an europäische Standards. Der deutsche „Bummelstudent“ sollte der Vergangenheit angehören. Schneller und effizienter sollte das Studium werden.

 

Die Berufsfähigkeit eines Abschusses, die „Employability“, war den Bildungspolitikern ganz wichtig. Die Operation ist gelungen, aber die Nebenwirkungen sind beachtlich. Wer ein G-8-Abitur hat und nach sechs Semestern einen Bachelor schafft, der kann theoretisch mit 20 als Akademiker ins Berufsleben eintauchen. Aber will die Wirtschaft wirklich so junge Absolventen – deren Lebenserfahrung, Ideen und Kreativität altersbedingt begrenzt sind?

Vor vier Jahren hat es noch eine Protestwelle der Studierenden gegen die Bologna-Reform gegeben, heute ist es ruhig an den Universitäten. Die Studierenden seien so unter Druck, dass sie für politische Aktivitäten kaum Zeit hätten, heißt es in den Studentenvertretungen. Dabei sind die Probleme, die durch die Bologna-Reform verschärft worden sind, nicht vom Tisch. Und die Klagen darüber kommen sowohl von den Hochschulrektoren – die am Dienstag in Nürnberg eine Fehleranalyse vornahmen – als auch aus der Studentenschaft.

Die Unzufriedenheit ist groß

Die Abbrecherquoten gerade in den Fächern, in denen Mathematik eine große Rolle spielt, sind immens hoch. Das Studium startet für viele mit Nachhilfe. Vom ersten Semester an wird durch Prüfungen, die für das Examen mitzählen, ein hoher Druck aufgebaut – er fühle sich wie „ein Zahnrad im Getriebe“, sagt ein Studierender. Von einer „Willkommenskultur“ an den Universitäten könne nicht die Rede sein, wenn schon in den ersten Wochen geprüft werde. Akademische Freiheiten, das Sich-finden, das Ausprobieren und Orientieren kommen unter die Räder.

Die Unzufriedenheit ist groß über die Verschulung des Studiums, unsinnige Anwesenheitspflichten und die Verkürzung der Regelstudienzeiten, die dadurch ausgehöhlt wird, dass die meisten Bachelor-Absolventen – anders als geplant – den Master machen wollen. Statt kürzer, was sich Bologna auf die Fahnen geschrieben hatte, wird das Studium dadurch faktisch länger. Solch einen Effekt nennt man kontraproduktiv.

Die Hochschulen sind überfüllt

Fast zwei Drittel aller Universitätsprofessoren sind laut einer Umfrage unzufrieden mit der Bologna-Reform, jeder zweite ist der Ansicht, dass die Qualität der Lehre abgenommen habe und die Freiheit von Forschung und Lehre beschnitten worden sei. Die Orientierung am einzelnen Studenten, wie sie Bologna empfiehlt, findet aus finanziellen Gründen zu wenig statt. Die Hochschulen sind überfüllt. 2,5 Millionen junge Leute studieren derzeit, eine Rekordzahl. Und dieser Studentenberg wird in den nächsten Jahren nicht kleiner.

Die Hochschulrektoren wollen bald mit eigenen Empfehlungen an die Öffentlichkeit gehen. Man braucht kein Hellseher zu sein, um vorherzusagen, dass sie mehr Geld verlangen werden: für eine Streckung des Studiums, für bessere Betreuungsrelationen. Dass sich die Politik mit eigenen Vorschlägen zurückhält, hat einen Grund. Bessere Studienbedingungen und mehr akademische Freiheiten unter dem Bologna-Schirm sind nicht zum Nulltarif zu haben. In einigen, vor allem ostdeutschen, Ländern wird an den Hochschulen ein rigoroser Sparkurs gefahren. Dennoch wird es Zeit, dass sich die Kultusminister und die Bundesbildungsministerin an einen Tisch setzen, um über die Bologna-Reform zu sprechen. Sie ist eine Dauerbaustelle.