Die Proteste gegen Israels Vorgehen im Gazastreifen sind teilweise jenseits des politisch Erträglichen. Dagegen muss man vorgehen. Doch Kritik am Einsatz des israelischen Militärs muss erlaubt sein, verlangt der StZ-Redakteur Rainer Pörtner.

Politik/Baden-Württemberg: Rainer Pörtner (pö)

Stuttgart - Es sind drastische, beunruhigende Worte, die in diesen Tagen von Juden in Deutschland zu hören sind. Eine „Explosion an bösem und gewaltbereitem Judenhass, die uns alle schockiert“, beklagt Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats. Niemals habe er sich vorstellen können, dass auf deutschen Straßen wieder „antisemitische Aufrufe der übelsten und primitivsten Art skandiert“ würden. Israels Botschafter in Berlin, Yakov Hadas-Handelsman, fühlt sich an das Jahr 1938 erinnert, als schon einmal Juden durch die deutsche Hauptstadt gejagt wurden. Wenn es so weitergehe, sei es nur noch eine Frage der Zeit, „wann unschuldiges Blut vergossen wird“.

 

Wenn Juden in Deutschland Angst haben, ihre Glaubenszugehörigkeit öffentlich zu zeigen, die Kippa zu tragen, in die Synagoge zu gehen – dann ist das ein Alarmsignal, das nicht übersehen werden darf. Wenn Demonstranten Parolen wie „Hamas, Hamas, Juden ins Gas“ herausschreien, dürfen Polizisten nicht tatenlos danebenstehen. Wenn Hassprediger zum Mord an Juden aufrufen, kann es keine staatliche Toleranz geben. Dies gebieten der Rechtsstaat und die Verpflichtungen einer wehrhaften Demokratie, die ihren Feinden kein Freispiel gibt. Dies gebietet aber vor allem und immer weiter die Erinnerung an die deutsche Geschichte. Jüdisches Leben, sowohl im Sinne der physischen Existenz wie im Sinne gelebten Glaubens, darf hierzulande nie wieder gefährdet sein.

Hetzsprüche überschreiten die Grenzen

Der neue Krieg in Nahost, die brutale Schlacht um den Gazastreifen hat Deutschland erreicht. In einigen Demonstrationen und Diskussionsforen, die sich gegen diesen Krieg wenden, bildet sich eine unselige Melange aus Islamisten, Rechten und Linken, die politisch wenig bis nichts verbindet außer dem einen Motiv: Abscheu und Hass auf die Juden wie den Staat Israel. Sie überschreiten mit ihren Hetzsprüchen bewusst die Grenzen des politisch Erträglichen wie des rechtlich Zulässigen. Ihre lautstarke Kritik am israelischen Militäreinsatz ist unterlegt mit antisemitischen Ressentiments.

Noch ist die Lage nicht so weit eskaliert wie in Frankreich, aber der Übergang zu Gewalt und Blutvergießen ist auch hierzulande nicht mehr weit entfernt. Solchen Entgleisungen des politischen Diskurses entgegenzuwirken ist Aufgabe der Mehrheitsgesellschaft – mit polizeilichen Mitteln, aber auch mit offenem Widerspruch gegen die Extremisten.

Nicht jede Kritik zeugt von antijüdischer Grundhaltung

Das argumentative Gegenhalten wäre allerdings einfacher, wenn nicht nur auf Seiten der Judenverächter auf simplifizierende Gleichsetzungen verzichtet würde – sondern auch bei allen, die es gut meinen mit ihren jüdischen Mitbürgern wie mit Israel. Das gilt ausdrücklich auch für deren offizielle Repräsentanten. Der Nahost-Konflikt, es zeigt sich immer wieder, lässt sich nicht in Schwarz-Weiß zeichnen, sondern nur in sehr vielen verschiedenen Grautönen. Nicht jede harte Kritik am Vorgehen des israelischen Militärs zeugt von einer antijüdischen Grundhaltung – nicht selten ist das genaue Gegenteil der Fall. Wer diese Stimmen beiseiteschiebt, betreibt gewollt oder ungewollt das Geschäft der Israelgegner, weil diese sich in ihren Vorurteilen bestätigt sehen.

Vor sechs Jahren hat Angela Merkel die Sicherheit Israels „als Teil der Staatsräson meines Landes“ bezeichnet. Es gibt gute Gründe zu argumentieren, dass Israel mit einer rücksichtslosen Siedlungspolitik, mit einer von rechtsnationalistischen Kräften angefeuerten Regierung, mit einer Apartheidstrategie gegen die Palästinenser und mit Militäreinsätzen, die Hunderte Unschuldige das Leben kosten, langfristig keine Sicherheit finden wird. Die Kanzlerin sollte prüfen, ob es nicht auch zur deutschen Staatsräson gehört, dies klarer als bisher auszusprechen. Damit Juden und Israelis auf Dauer in Frieden leben können.