Der neue italienische Ministerpräsident Matteo Renzi startet mit großen Tönen. Aber bisher wirft er vor allem Fragen auf, kommentiert StZ-Korrespondent Paul Kreiner.

Rom - Hoppla, jetzt kommt er. Die beiden Häuser des italienischen Parlaments haben Matteo Renzi das Vertrauen ausgesprochen; nun kann er, nun muss er regieren – obwohl er mit und seit seinem Handstreich entschieden mehr Fragen aufgeworfen als Antworten gegeben hat. Für die Antwort, für die Botschaft, für die Zukunft scheint der 39-Jährige sich selbst zu halten. Wer sollte da noch Fragen haben, außer solchen miesepetrigen, nebensächlichen nach konkreten Inhalten?

 

Renzi ist noch immer die Erklärung dafür schuldig, warum er die Regierung seines Parteifreundes Enrico Letta gestürzt hat. Ein Recht dazu hatte er nicht, und das neue Kabinett, das Renzi sich – offenbar vieler Absagen wegen – in buchstäblich letzter Minute zusammentelefonieren musste, besitzt außer exzessiv-demonstrativer Jugendlichkeit und weiblicher Präsenz bislang keinerlei Eigenschaften. Zudem stellen sich zwei der wenigen konkreten Ankündigungen, die Renzi gestern vor dem Parlament gemacht hat, bei näherer Betrachtung als bereits von Letta beschlossen und finanziert heraus, die dritte als unbezahlbar. Man ist von „programmatischen Regierungserklärungen“ zu Beginn einer Amtszeit ja einiges gewohnt, so wenig aber auch wieder nicht.

Renzi, der Mann aus Florenz, verstört das politische Rom

Ferner stellt sich immer dringender die Frage, mit wem Renzi eigentlich fundamentale Reformen durchsetzen will. Er scheint zu vergessen, dass er nicht mehr Bürgermeister in Florenz ist, wo er alles auf sich zentrieren konnte. Zum Regieren bräuchte Renzi eine starke Partei hinter sich, doch die seine hat er eher gespalten als geeint. Eiskalt hat er alle zur Seite geräumt, die sich seinem Drang zur Macht in den Weg stellten. Doch wenn er den Wirtschaftsexperten Stefano Fassina abfertigt mit einem „Wer soll das sein?“ und wenn er seinem ersten großen Rivalen, Vorgänger und Spitzenkandidaten 2013, Pier Luigi Bersani, deshalb eine schnelle Erholung von seiner Gehirnblutung wünscht, „weil ich so gerne mit ihm streite“, dann erzeugt das bei den jeweiligen Gefolgschaften nur tiefe Ressentiments. Bei irgendeiner Abstimmung fehlen dann eben die entscheidenden Stimmen, und anders als die sich fraglos auf einen einzigen Chef – Silvio Berlusconi – ausrichtenden Mitte-rechts-Kräfte haben Italiens Sozialdemokraten viel Übung im Absetzen ihrer Vortänzer.

Renzi verstört das politische Rom auch deswegen so heftig, weil er nicht aus dem Apparat, aus dem „Palazzo“, kommt. Er hat sich von der Provinz aus mit eigenen Ellbogen an die Spitze gekämpft, er ist keiner politischen Seilschaft verpflichtet, keinen Medien, keiner Wirtschaftslobby. Angesichts italienischer Gebräuche ist Renzi damit eine Art Marsmensch. Wie geht man mit ihm um? Wo liegt die schwache Stelle? Wo und wann wird der Apparat zurückschlagen?

Italien braucht keinen neuen Alleinherrscher

Renzi kann Erfolg nur haben, wenn ihm zweierlei gelingt. Wenn er als Erstes mit der Wucht und dem Tempo seines Anfangs – gut machiavellistisch auch: mehr gefürchtet als geliebt – ein, zwei, drei Paradereformen hinkriegt. Wenn er zweitens vom Solitär zum Mannschaftsspieler wird. Es liegt ja so viel Potenzial brach: Mario Monti hat kluge Leute aus der Zivilgesellschaft ins Parlament gebracht, Beppe Grillo einen noch viel größeren, jungen, allerdings unförmigen Rebellenhaufen. Nicht zuletzt durch Renzis Drängen vor der Parlamentswahl 2013 hat auch die eigene, die sozialdemokratische Partei – und in der Folge Berlusconi – die Reihen ihrer Abgeordneten stark verjüngt. Da braucht’s gar keinen Alleinherrscher, sondern einen, der mitreißt und überzeugt.

Renzis Ansatz, über Lagergrenzen hinauszudenken und alte Rituale über Bord zu werfen, ist völlig richtig. Ein erster, mächtiger Ruck ist mit ihm durch Italiens Politik gegangen. Stellt sich nur die Frage: Und jetzt?