UPDATE Seit der Aufsichtsratssitzung ist klar: Stuttgart 21 kostet 5,62 Milliarden Euro. In gleichem Maße wie die Kosten explodiert sind, ist das Vertrauen in die Deutsche Bahn erodiert. Ein Kommentar von Lokalchef Holger Gayer
Stuttgart - Es gibt Sätze, die hätte man besser nie gesagt. Als er noch Chef der Bahn war, hat Hartmut Mehdorn so eine unauslöschliche Botschaft verkündet. „Stuttgart 21“, so postulierte der Manager, „ist das bestgeplante und am besten berechnete Projekt der Deutschen Bahn AG.“ Während Mehdorn inzwischen mit Air Berlin unterwegs ist, fliegen seinem Nachfolger bei der Bahn sowohl die Worte des Vorgängers als auch das Projekt selbst um die Ohren. Am Mittwoch hat Rüdiger Grube im Gespann mit seinem Infrastrukturvorstand Volker Kefer zugegeben, dass Stuttgart 21 nochmals um 1,1 Milliarden Euro teurer wird – und zusätzliche Risiken im dreistelligen Millionenbereich bestehen. In derselben Sitzung hat der Aufsichtsrat Grubes Vertrag um fünf Jahre verlängert.
Unabhängig davon, wie man diese Duplizität der Ereignisse bewerten mag, steht fest, dass die Geschichte von Stuttgart 21 längst zu einer Chronique scandaleuse mutiert ist. Die unrühmliche Hauptrolle im neuesten Kapitel spielt wieder einmal die Bahn. In einer Mischung aus Taktieren und Kaschieren hat der Staatskonzern stets betont, dass der Kostendeckel von 4,52 Milliarden Euro nicht gelupft werden müsse. Diese Zahl war auch Bestandteil der Debatten, die rund um die Volksabstimmung geführt wurden. Wer trotzdem öffentlich vermutete, die Rechnung fall viel höher aus, musste mit einem Dementi der Bahn rechnen. Seit dem 12.12.12 ist klar, dass die Befürchtungen zutreffend waren.
Keine belastbare Alternativplanung zu Stuttgart 21
Im gleichen Maß wie die Kosten explodiert sind, ist das Vertrauen in die Bahn erodiert; bei vielen Bürgern ist gar nichts mehr davon übrig – und zwar unabhängig davon, ob sie Stuttgart 21 befürworten oder ablehnen. Doch anders als bei Politikern, denen das Volk bei einem Vertrauensverlust die Stimme versagen kann, ist die Bahn nicht abwählbar. Sie ist die einzig mögliche Bauherrin für ein Schienenprojekt in der Größenordnung des Stuttgarter Hauptbahnhofs – und das weiß sie auch.
Im Bewusstsein dieser Monopolstellung jedoch die Wünsche und Einwände der anderen Beteiligten und Betroffenen zu ignorieren, ist fatal. Wenn die Bahnchefs aus den Fenstern ihrer Büros blickten, würden sie sehen, dass es in der Bevölkerung nicht nur eine Politik- und Politikerverdrossenheit gibt, sondern auch eine Managerverdrossenheit. Daher sollten die Konzernverantwortlichen in Berlin die Tatsache, dass in Stuttgart weitergebaut wird, nicht als Erfüllung eines Herzenswunsches der Schwaben betrachten. Diese Entscheidung ist ausschließlich vernunftgesteuert. Es gibt keine belastbare Alternativplanung zu Stuttgart 21. Und selbst wenn man diese jetzt aufnehmen würde: Wer könnte garantieren, dass eine neue Idee tatsächlich realisiert wird und am Ende besser wäre? Darüber hinaus gibt es weder eine juristische noch eine politische Handhabe, das Projekt zu stoppen. Dies haben selbst die Stuttgart-21-Gegner in der Landesregierung erkannt.
Auch aus dem Filderdialog könnten sich Mehrkosten ergeben
Dennoch haben auch sie kaum eine Gelegenheit ausgelassen, dem Projekt zu schaden. Die Grünen etwa haben getrickst, als sie im Filderdialog versprochen haben, man werde ergebnisoffen über eine vernünftige Anbindung des Flughafens an den Tiefbahnhof diskutieren. In Wahrheit wollte die Regierungspartei testen, ob es durch die Hintertür doch noch gelingen könnte, das ganze Projekt zu verändern.
Nun könnten sich auch aus diesen Diskussionen heraus Mehrkosten ergeben. Über eine Beteiligung der anderen Projektpartner daran ließe sich aber allenfalls reden, wenn sich alle Beteiligten einigten, wer die Posten zu verantworten hat. Das wird wohl vor Gericht besprochen werden. Bis dahin gilt, dass die Bahn als Bauherrin uneingeschränkt für die Kosten von Stuttgart 21 haftet. Wie sie diese Summen in ihrer Bilanz verbucht und wie sie trotzdem die Wirtschaftlichkeit von Stuttgart 21 herstellt, wird sie noch erklären müssen.