Die Übergabe des Bundeswehr-Feldlagers Kundus markiert einen entscheidenden Schritt Afghanistans in eine düstere Zukunft, meint der StZ-Politikredakteur Matthias Schiermeyer.

Politik: Matthias Schiermeyer (ms)

Kundus - Kundus hat die Bundeswehr wie kein anderer Standort verändert. Ob man nun prinzipiell für oder gegen militärische Gewalt ist – hier haben die deutschen Soldaten gezeigt, dass sie ihren Beruf beherrschen. Von Kundus aus haben sie den Aufbau im Norden abgesichert und sich in Gefechten behauptet. So ist die Truppe zu einem hoch respektierten Partner der Verbündeten gereift.

 

Kundus steht aus deutscher Sicht aber auch für die Trauer um Dutzende von Soldaten – und für die größte Katastrophe der Bundeswehrgeschichte: den Beschuss der Tanklastzüge am 4. September 2009. Ungeachtet der dabei getroffenen Fehlentscheidungen ist mehr denn je deutlich geworden, dass auf deutschen Befehl hin wieder viele Menschen getötet werden. So etwas hat es seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben. Kundus hat damit eine Neuorientierung in der Gesellschaft ausgelöst. Es überrascht noch immer, wie unaufgeregt dieser Prozess vonstattenging. Wünscht sich die Mehrheit der Menschen mehr Verantwortung für Deutschland in der Welt – selbst um den Preis, dass dabei gestorben und getötet wird? So weit sind wir noch nicht: Als die Parteien erkannten, dass die Bürger des Kriegs am Hindukusch überdrüssig werden, beschlossen sie, mit den Verbündeten den Rückzug einzuleiten.

Vom Mittelalter in die Moderne

Trotz der weiteren militärischen und finanziellen Unterstützung lässt man Afghanistan mit seinen Problemen nach 2014 weitgehend allein. Es fällt schwer, die Zuversicht nachzuvollziehen, mit der sich die Bundeswehr zurückzieht. Sie hat in erster Linie mit der Hoffnung zu tun, dass nicht alles vergeblich gewesen sein darf: die Opfer und die Entbehrungen. Der Optimismus ist nur partiell von der Realität gedeckt. Wirtschaftlich geht es in den Ballungsgebieten voran. Das Land beginnt, sich selbst zu ernähren. Auch die Ausbildung der jungen Afghanen macht große Fortschritte. Stellenweise ist ein Sprung vom Mittelalter in die Moderne gelungen.

Dennoch gibt es ebenso viele Gründe für Skepsis. Zwar haben die Aufständischen an Schlagkraft eingebüßt – speziell die afghanische Armee weiß sich zu wehren, während die oft hilflose bis korrupte Polizei große Verluste zu beklagen hat. Somit ist die Sicherheitslage im Norden wenig stabil und auf das ganze Land bezogen sogar verheerend. Der Terrorismus ist nicht bezwungen – und auch die Warlords und Kriminellen sind wieder sehr aktiv. Wenn die Opferzahlen unter den Isaf-Soldaten abnehmen, hat dies vor allem mit ihrem Rückzug zu tun. Zu befürchten ist, dass das Land zerfällt in wenige relativ sichere Zonen und etliche Unruheprovinzen.

Einst hat Afghanistan höchste Aufmerksamkeit erfahren – mit der Abkehr der Schutztruppe wird das Interesse des Westens rapide abnehmen. In der Folge werden auch weniger Hilfsgelder und private Investitionen fließen. Ein nachhaltiger Aufbau in Eigenregie kann den Afghanen unter all diesen Vorzeichen kaum gelingen.