Lance Armstrong hat gedopt, das wusste jeder. Sein Geständnis jetzt ist deshalb keine Reue sondern Kalkül. Er könnte dem Radsport aber einen Dienst erweisen, wenn er gegen Funktionäre und Teamchefs aussagte, meint der StZ-Sportredakteur Tobias Schall.

Chef vom Dienst: Tobias Schall (tos)

Stuttgart – Die Erde ist keine Scheibe. Die Sonne geht im Osten auf. Lance Armstrong hat gedopt. Diese drei Sätze haben ungefähr den gleichen Aha-Effekt. Wirklich überraschend sind sie nicht.

 

Die Nachricht vom Geständnis des Lance Edward Armstrong ist keine Sensation. Letztlich gibt er das zu, was seit Langem nicht mehr zu leugnen ist. Es ist kein heroischer Akt voller Reue, sondern ein kalkuliertes Manöver auf der besten PR-Bühne, die Amerika zu bieten hat: Oprah Winfrey. Er kriecht weniger aus Einsicht zu Kreuze, wenn man bedenkt, wie er sich seit Monaten verhält und via Twitter regelmäßig subtil provoziert. Nein, er bereut allein deshalb, weil ihm in seiner isolierten Position eigentlich nichts anderes mehr übrig bleibt, um einen Rest an Reputation zu wahren. Aber immerhin: man hört es endlich aus seinem Mund. Er verschanzt sich nicht länger hinter schwammigen Formulierungen oder seinen Anwälten, sondern er spricht das aus, worauf viele nach Jahren der Heuchelei und Lügen gewartet haben: Ich, Lance Armstrong, habe betrogen.

Ein gemeiner irdischer Betrüger

Natürlich hat er gedopt, daran gab es seit Monaten keine ernsthaften Zweifel mehr: mit den im Oktober veröffentlichten Akten der US-Antidopingagentur Usada wurde wohl auch der letzte Armstrong-Jünger dahin gehend bekehrt, dass dieser vermeintliche Messias auf zwei Rädern nichts anderes ist als ein gemeiner irdischer Betrüger.

Allein war er damit nicht. Armstrong tat das, was fast alle taten im Radsport. Er ist Opfer der alt bekannten Dopingkultur im Hochleistungssport und speziell im Radsport – aber er ist eben auch Täter. Der intern brutal regierende Patron hatte in seinem Team ein gnadenloses Dopingsystem installiert, dem sich jeder unterwerfen musste. Der Usada-Chef Travis Tygart sprach vom „ausgeklügeltsten, professionellsten und erfolgreichsten Dopingprogramm, das die Welt jemals gesehen hat“. Was zu viel der Ehre ist, wenn man an den kalten Sportkrieg und die Dopingplanwirtschaft etwa in der DDR denkt.

Sei’s drum. Armstrong ist immer mehr als ein Radfahrer gewesen. Er hatte sich ein Imperium aufgebaut, das auf der Kraft seiner zwei Beine gründete, aber bald die Ebene des Sports verließ. Die Geschichte des vom Krebs geheilten Mannes, der siebenmal die Tour de France gewann, strahlte weit über den Sport hinaus. Armstrong wurde trotz aller Zweifel von vielen verehrt, weil er auf einer Mission war, die so viel größer ist als der Sport selbst: auf einem Kreuzzug gegen den Krebs. Armstrong war auf Du und Du mit Staatenlenkern, und in seinen besten Zeiten gab es kein Amt in der amerikanischen Politik, das man ihm nicht zugetraut hätte. Umso tiefer ist nun der Fall dieser Ikone a.D.

Armstrong wurde protegiert

Wahr ist aber auch, dass ziemlich viele von Lance Armstrong profitierten – und deswegen wurde er protegiert. Er war für den Radsport und alle, die daran verdienten, eine Gelddruckmaschine. Das System Armstrong konnte nur funktionieren, weil offensichtlich andere wollten, dass es funktioniert. Viel wichtiger als sein Geständnis ist deshalb, ob er wirklich, wie er offenbar angekündigt hat, gegen Funktionäre und Teamchefs aussagt. Der Texaner könnte dem Sport einen letzten Dienst erweisen, indem er das Beziehungsgeflecht und die mafiösen Strukturen in der Szene tatsächlich ausleuchtet. Was genau wusste der Weltverband UCI mit dem ehemaligen Präsidenten Hein Verbruggen und dem heutigen Chef Pat McQuaid? Was der Tour-Veranstalter Aso? Wurde Armstrong mit Insiderwissen versorgt, um den Kontrolleuren voraus zu sein – und von wem?

Es könnte der D-Day für den Radsport werden. Der Tag der Entscheidung. In der Branche glauben viele, dass der Laden in die Luft fliegt, sollte Armstrong tatsächlich aussagen und Tabula rasa machen. Es wäre die vielleicht einmalige Chance, ein für alle Mal im Radsport aufzuräumen.